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Die Lichtermagd

Die Lichtermagd

Titel: Die Lichtermagd
Autoren: Lena Falkenhagen
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PROLOG
    D ie Nonne kam um Mitternacht, um ihr das Kind zu stehlen. Sie stand als Erste hinter der Tür der Geburtskammer, nur zu sehen durch einen Spalt. Ihr weißer Brustschleier schien im dunklen Raum über dem dunklen Habit zu schweben, beschienen vom letzten Licht einer einsamen Kerze. Die Glocke diffuser Helligkeit, die sie erzeugte, färbte die Dunkelheit darum herum nur noch tiefer. Und die Nonne war nicht allein.
    Draußen heulte der Sturm durch das Spitzdach der Kate und schüttelte die Balken. Wind und Regen rüttelten draußen an den Fensterverschlägen und leckten mit kalten Zungen durch jeden Spalt. Und doch trotzten diese Wände Wetter und Unbill und gaben Luzinde das Gefühl von Geborgenheit. Immerhin hauste sie hier seit Monaten; seit die Wölbung ihres Bauchs dem Dorf Lindelberg ihre Sünde vor Augen geführt hatte. Die Holzdielen der kleinen Kammer, in die man Luzinde verbannt hatte, waren rau und grob. Als das Mädchen unförmiger und unbeweglicher geworden war, hatte es sich daran manchen Splitter gezogen und oft ihr Wollkleid zerrissen.
    Das Mädchen lag jetzt matt auf dem Lager. Das Haar klebte ihm noch an der Stirn, jeder Muskel schmerzte. Es hatte stundenlang darum gerungen, das Kind zur Welt zu bringen. Die Wehen hatten zur völligen Erschöpfung geführt. Nun fühlte sich das Mädchen, als habe Gott dieses kleine Würmchen mit unbarmherziger Hand aus ihm herausgewrungen. Luzinde wollte sich endlich zurücklegen und schlafen, wollte ihren kleinen und so zerbrechlichen Sohn in den Armen halten. Sie
sehnte sich nach seinem Duft, seiner weichen Haut, dem Flaum auf seinem Haar.
    Das Würmchen greinte mit schwachem, noch kaum erprobtem Stimmchen. In Luzindes Augen sammelten sich Tränen; nicht die von Leid und Verzweiflung wie in den letzten Tagen, in denen ihr Vater und die Nonne sie gedrängt hatten, den Bastard fortzugeben. Dies waren Tränen der Freude und Erleichterung. Sie richtete sich schwerfällig in eine halb sitzende Stellung auf.Weiter kam sie nicht, denn in ihrem Unterleib fühlte sich alles wund an.
    »Bitte«, flüsterte sie mit rauer Kehle und streckte eine blutbefleckte Hand nach dem Bündel aus. Die Hebamme reagierte nicht. Stattdessen rieb sie das Kind trocken und schlug es fest in Leinentücher ein.
    »Frau Stoll«, bat Luzinde. Sie sehnte sich so sehr danach, das Kind zu berühren, dass der in ihren Körper zurückkehrende Schmerz verdrängt wurde. Doch die Frau reagierte, nicht sondern trat zur Tür. Draußen wartete die Nonne, und wer weiß, vielleicht auch Konrad, der Vater des Neugeborenen, oder Margaret Welser, seine Verlobte.
    »Schwester Elisabeth«, hörte die junge Mutter die Amme nun murmeln. »Hier habt ihr … Es ist … Glückshaube.« Luzinde hielt den Atem an, um die Worte zu verstehen, doch die Amme und die Nonne sprachen zu leise. Dann hörte sie die lautere Stimme ihres Vaters. Er war da! Er war gekommen. Luzinde beruhigte sich sofort, denn sie wusste, dass der Vater nur ihr Bestes wollte.
    »Das ändert nichts. Nehmt es! In Gottes Namen, nehmt es. Sie ist doch selbst noch ein Kind. Wie soll sie da für eines sorgen?«
    Der Vater hatte es Luzinde oft erklärt, und die Nonne auch einmal. Sie war gestern Nacht an ihr Bett getreten und hatte mit ihr gebetet. »Willst du, dass die Leute aus Lindelberg dich
jemals wieder anschauen? Willst du wieder in Gottes Gnaden stehen?« hatte sie dann gefragt. »Dann gib das Kind fort und bereue.« Und Luzinde hatte ja gesagt.
    »Nein«, wollte sie jetzt rufen.Was immer sie gestern gesagt hatte, besaß heute keine Gültigkeit mehr. Doch ihre Kehle brachte kaum einen Ton hervor. Niemand hörte sie. Sie wollte aufspringen, ihr Kind aus den Armen der Amme reißen – doch dazu reichte ihre Kraft nicht. Mühsam zog sie die Beine an und schob die Decke zurück.
    »Gut«, sprach die Nonne. »… Glückshaube. Daher … benenne... Tagesheiligen. Eher … Heiligen Johann. Seid … einverstanden?«
    »Macht, wie Ihr es für richtig haltet, Schwester Elisabeth.« Luzindes Vater hörte sich abweisend an.
    Luzinde durchfuhr eine Welle der Freude. Ein Sohn. Hatte sie einen Sohn geboren? Sie musste ihn sehen, wenigstens einmal. »Nein«, schluchzte sie wieder auf, und dieses Mal hatte sie die Stimme besser unter Kontrolle. »Nicht …«
    Nun schob der Vater die Tür auf und sah zu ihr herüber.Trotz des Kerzenlichts lagen seine Augen im Dunkeln. »Luzinde, leg dich hin. Du bist noch zu schwach.«
    »Ich will aber doch nicht, dass mein Kind
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