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035 - Wettlauf gegen die Zeit

035 - Wettlauf gegen die Zeit

Titel: 035 - Wettlauf gegen die Zeit
Autoren: Jo Zybell
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Die Erschöpfung strömte wie flüssiges Blei durch seine Glieder. In beiden Schläfen dröhnten Pauken - sein Herzschlag. Ihr Echo antwortete aus seinem Bauch. Herzschlag, Atmen, Schwitzen, Rumoren in den Gedärmen - viel mehr nahm sein Bewusstsein in diesen Sekunden kaum wahr. Vielleicht beiläufig noch das herabströmende Wasser auf der Cockpit- Kuppel der Supermarine Spitfire.
    Die verschwommene Uferkulisse stand fast still, drehte sich behäbig. Das Flugzeug wurde nur noch von der Strömung getragen.
    Dann neigte es sich zur linken Seite.
    »Jesus…« Und schon wieder fiel Daves Herz in rasenden Galopp. Er presste die Stirn links gegen die Cockpit-Kuppel: Die Spitze der linken Tragfläche war schon im Wasser versunken. Er blickte nach rechts: Die Spitze der rechten Tragfläche schwebte eine Handbreite über der Wasseroberfläche.
    »Sie kippt um!« Dave stieß die Kuppel auf.
    »Wenn ich nicht aufpasse, kentert sie!«
    Er stemmte sich aus dem Cockpit. Eine Armeslänge trennte die Spitze des rechten Flügels bereits von den Wellen. Dave tat einen Schritt auf die Tragfläche hinaus, während er sich am Rand des Cockpits festhielt. Eiskalt war der Rhein; rauer Wind zerzauste Daves langes Haar. Wassertropfen spritzten gegen seine Brillengläser.
    Er spürte, wie die Neigung des Flugzeugs sich verlangsamte.
    »Du gehst mir nicht unter!«, brüllte er. »Nicht nachdem wir so weit gekommen sind!« Er wusste, dass die Außenhülle der Spitfire dicht sein musste. Er hatte sie schließlich selbst zusammengebaut.
    Zentimeter um Zentimeter schob er seine Füße weiter auf die Tragfläche hinaus. Endlich begann die rechte Tragfläche sich dem Wasser entgegen zu neigen.
    Dave richtete sich im gleichen Maße wieder auf und stand schließlich aufrecht dicht am Rumpf. Mit der Rechten hielt er sich am Cockpit-Rahmen fest, mit der Linken zog er die Brille von der Nase und wischte sie am Brustteil seines Kombis ab.
    Als er sie wieder aufsetzte, sah er Gebäude am linken Ufer vorbeiziehen.
    Verwundert betrachtete er die mittelalterlich anmutenden Bauwerke. Keine Ruinen, richtige Gebäude - windschief zum Teil und mit maroden Dächern, aber bewohnte Gebäude. Über einigen sah er Rauchsäulen, die der Wind von den Dächern riss. Und mitten drin ein alles überragendes schwarzes Bauwerk mit zwei gotischen Türmen.
    »Das glaubst du nicht, Mickey…!«, flüsterte Dave seinem imaginären Bruder zu, mit dem er sich unterhielt, wenn er alleine war. »Das ist der Kölner Dom! Er steht noch… ich glaubs nicht…!«
    Ungläubig betrachtete er den schwarzen Doppelturm der uralten Kathedrale. Im zerstörten Berlin hatte er keine einzige Ruine solcher Höhe gesehen. Der himmelstürmenden Architektur waren die Gipfel gestutzt worden - durch den Glutorkan, den der Komet vor über fünfhundert Jahren entfacht hatte.
    Auch aus dem Wirrwarr von Dächern, Giebeln, Türmchen und Laubkronen rund um die Kathedrale am linken Rheinufers ragte kein Bauwerk von nennenswerter Höhe, keine Kirchenruine, kein Turm - nur der alte Dom. Er allein schien, wenngleich stark beschädigt, der Apokalypse standgehalten zu haben.
    David McKenzie, vom amerikanischen Ostküsten-Katholizismus geprägt, erfüllte diese Einsicht mit einem Anflug von Ehrfurcht.
    Die Ansammlung von Häusern glitt langsam vorbei. Eine knapp fünf Meter hohe Mauer grenzte sie vom Fluss ab. Eine breite Mauer, die kaum Zerfallsspuren aufwies - in Köln schienen Leute zu leben, die Wert auf ihre Instandhaltung legten. Hinter ihr verlief wohl ein unbebauter Streifen, zwanzig oder dreißig Meter breit, bevor die Fassaden der Stadt begannen. Oder die Fassaden dessen, was der Komet und die Jahrhunderte von ihr übrig gelassen hatten.
    Die Spitfire lag jetzt flach auf dem Strom. Dave ging in die Hocke, streckte ein Bein ins Cockpit und setzte sich auf dessen Rahmen. Die Maschine kippte nicht ab. Trotzdem wagte er nicht die Tragfläche zu verlassen.
    Der Dom rückte näher. Und mit ihm ein bizarres Gebilde aus drei grünen Bögen. Misteln, Efeu und Weinranken sponnen es vollkommen ein und hingen von ihm herab wie eine Zottelmähne. Eine Brücke - langsam trieb die Spitfire unter ihr durch.
    David McKenzie, erst seit September 2012 in Deutschland, war nie in Köln gewesen. Den Dom kannte er von Postkarten, aus Geschichtsbüchern, aus Filmen. Die Hohenzollern-Brücke nicht.
    Sie blieb zurück, und Dave erkannte ein paar Gestalten an der Stelle, wo sie ans stadtseitige Ufer führte.
    »Hey!« Er winkte,
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