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Vielen Dank für ihre e-mail

Vielen Dank für ihre e-mail

Titel: Vielen Dank für ihre e-mail
Autoren: Christoph Moss
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sehen und Nachrichten höchstens zweimal täglich bearbeiten.
    73 Minuten gewonnene Zeit – jeden Tag. Eine entspannte und wahrscheinlich auch vernünftige Art, mit dem Unterbrechungsstress umzugehen.
     
JUNK-MAIL FÜR MAIL-JUNKIES
    Eine Viertelstunde lang hielt sie es aus. „Kürzlich im Bundestag legte sie das Handy in die Schublade vor sich, als wollte sie der Nachrichtenflut entkommen.“ Alle drei bis fünf Minuten bekommt die Bundeskanzlerin eine Nachricht aus dem Lagezentrum, schreibt der Spiegel . Aber nach 15 Minuten musste auch Angela Merkel sich dem inneren Verlangen beugen und nachsehen.
    Sie ist damit nicht allein. Chad Hurley, Gründer des Videoportals Youtube , sagt, er habe es aufgegeben, alle E-Mails erledigen zu wollen. Aus Kommunikation wird Sucht. Aus dem Blackberry ist für viele längst ein Crackberry geworden – die gefährlichste Kommunikationsdroge für Mail-Junkies. „Eine Pandemie infiziert die Arbeitswelt“, nennt es die amerikanische Beraterin Marsha Egan.
    Die ersten Unternehmen haben schon auf dieses Phänomen reagiert. Dan Russell, Forschungsmanager beim Computerriesen IBM, versieht seine Nachrichten mit den Sätzen: „Schließe dich der Slow-E-Mail-Bewegung an! Lies E-Mails nur noch zweimal am Tag! Hol dir deine Lebenszeit zurück und lerne wieder zu träumen!“
    Wer beim Chiphersteller Intel arbeitet, verbringt im Schnitt drei Stunden täglich mit der Bearbeitung von E-Mails. Ein Ingenieur erhält dort zwischen 50 und 100 Nachrichten am Tag – für viele Arbeitnehmer und Freiberufler längst der Normalzustand. Je nach Hierarchiestufe kann dieser Wert schnell auf 300 steigen. Und etwa ein Drittel dieser Nachrichten ist überflüssig.
    Deshalb fiel bei Intel der Entschluss, E-Mail-freie Tage festzulegen. Wenn irgend möglich, sollten Mitarbeiter an diesen Tagen auf E-Mails verzichten und nur noch persönlich oder am Telefon kommunizieren. Die ersten Resultate dieses Versuchs waren allerdings enttäuschend. Die meisten Mitarbeiter nutzten die verordnete E-Mail-Abstinenz, um schon einmal selbst neue Nachrichten im Voraus zu verfassen, die sie dann später abschickten.
    Die permanente Suche nach E-Mail-Informationen ist nicht allein auf den beruflichen Kommunikationsaustausch beschränkt. Gut die Hälfte der Deutschen mit einer privaten E-Mail-Adresse sieht mindestens einmal täglich in das elektronische Postfach. Nach Zahlen des Verbandes Bitkom sind 5 Prozent ständig auf Empfang. Jeder Fünfte liest mehrmals am Tag seine privaten Mails, weitere 28 Prozent mindestens einmal täglich. Mehrmals pro Woche sehen weitere 27 Prozent in ihr Postfach.
    Das Suchtpotential ist groß, die Heilung aus der Ratgeberliteratur scheint denkbar einfach: „Lesen Sie Nachrichten nur zu klar fest gelegten Zeiten.“ Dieser gut gemeinte Hinweis klingt genauso einleuchtend wie der Rat an einen Alkoholiker, künftig einfach weniger Bier und Wein zu trinken.
    Die Wochenzeitung Die Zeit zitiert Manager, die bemerkenswerte Sätze über die E-Mail-Kommunikation sagen: „Es ist wie mit Schokolade oder Kartoffelchips. Ich weiß, ich sollte meine Hand nicht nach ihnen ausstrecken, aber mir fehlt die Willenskraft.“ Oder: „Ich bin abhängig von Unterbrechungen. Wenn ich nicht unterbrochen werde, weiß ich nicht, was ich als Nächstes machen soll.“
    Die Liste der Kommunikationsdrogen ist lang. Die Universität von Maryland hat den Effekt verschiedener Medien getestet. 200 Studenten verzichteten dort einen Tag lang auf E-Mail, Online-Gemeinschaften und Mobiltelefon. Das Ergebnis waren Entzugserscheinungen wie bei Alkoholsüchtigen.
    Besonders schwer taten sich die Versuchspersonen mit der Abstinenz von sozialen Klatsch- und Tratschnetzen wie Facebook , vor allem, weil sie sich dort permanent mit Freunden über die Themen des Alltags austauschen. Weniger dramatisch ist der Verzicht auf SMS, Mobiltelefon oder E-Mail. Für die Wissenschaftlerin Susan Moeller zeigten sich Symptome, die denen von Alkohol- und Drogenabhängigen auf Entzug gleichen. Große Unruhe, Nervosität, verzweifeltes Verlangen nach Online-Aktivität.
    Ein Student verglich das Leben ohne Online-Kommunikation mit dem Leben auf einer einsamen Insel. Ein anderer fand es unerträglich, nicht mit seinen Freunden elektronisch in Kontakt treten zu können.
    Für derartige Fälle hat die Wissenschaft inzwischen ein altes Instrument aus der Betriebswirtschaft weiterent-wickelt: die E-Mail-Pleite. Wer nicht mehr kann, löscht sein gesamtes
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