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Vielen Dank für das Leben

Vielen Dank für das Leben

Titel: Vielen Dank für das Leben
Autoren: S Berg
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Benzinpreise waren albern teuer und die Parkhäuser zu Wohnungen für Ausländer umgebaut. Die Welt war so vernünftig geworden. Alkohol war für Angestellte unbezahlbar, das Rauchen auf freien Flächen verboten, auf Drogengebrauch und Prostitution und Pornographie stand Gefängnisstrafe. Die Frauen sorgten für Ordnung, sie waren Vermeiderinnen, sie waren ängstlich, sie waren vernünftig und ein wenig selbstgerecht. Sie hatten es schon immer gewusst. Die Welt wird ein blühender Garten werden, wenn sie nur endlich zeigen können, wie gut sie das Gärtnerinnenhandwerk beherrschen! Die Saat war einigermaßen gediehen. Die Welt glich eher einem überbauten Acker als einem sinnlos grünen Garten, sie war dank des ungezügelten Konsums freudvoller als in den ehemaligen islamischen Ländern, aber etwas Antibakterielles lag in der Luft. Es gab nichts, was nicht reguliert, eingeschränkt, überwacht und gezügelt gewesen wäre, jeder Bereich war auf politische Korrektheit untersucht. Mit der Vorherrschaft der Männer war sehr, sehr viel Unangenehmes verschwunden. Es gab keine Kriege, kaum mehr Gewalttätigkeiten, die Wohnungen waren praktisch, die Gleichstellung vorbildlich, die Lautstärke gemäßigt. Humor nicht mehr vorhanden, wie alles Unnütze.
    Marie war inmitten des Aufschwungs der Welt geboren, sie war unter Frauen aufgewachsen, sie war strebsam, perfekt und freundlich. Sie war der neue Mensch, und nun parkte sie den Polizeiwagen und ging die Treppen zur Seine zur täglichen Obdachlosenkontrolle. Es waren die einzigen Einsätze, bei denen sie eine Waffe trug. Probleme machten fast nur noch die Obdachlosen. Sie erschlugen sich, sie führten vor, wie eine Welt ohne Konsum funktioniert. Gar nicht.
    Marie hatte Soziologie studiert, sie wusste, worüber sie nachdachte. Marie machte sich nichts vor. Es gibt nur die Dummen und die Klugen. Marie griff nach ihrer Dienstwaffe. Bei den Obdachlosen unter Brücke drei stimmte irgendwas nicht. Sie näherte sich der Menschengruppe, hauptsächlich ehemalige Biologielehrer, die sie nicht besonders mochte, denn sie verkörperten für sie alles, was Vergangenheit war. Die Klugscheißerei älterer Männer, die Bärte, der stechende Geruch. Es sah aus wie einvernehmlicher Geschlechtsverkehr, was da stattfand. Daneben hockte, sich wiegend in einer Lache von Erbrochenem, der Transvestit, den sie seit Monaten unter besonderer Beobachtung hatte. Sie mochte ihn nicht. Marie wusste, dass sie nicht in Kategorien von Zuneigung und Ablehnung denken und agieren sollte, und doch war es ihr eine Freude, ihn anzuschreien, die Waffe gegen ihn zu richten, ihn zu verhaften.
    Sie stieß Toto die Treppe zum geparkten Einsatzfahrzeug hinauf, in dem ihre Kollegin wartete. Marie hätte nicht sagen können, was sie an dem riesigen kranken Mann, der tat, als sei er eine Frau, nicht mochte. Vielleicht diese Karikatur, die er darstellte, dieses anarchisch Unaufgeräumte seiner Gestalt. Egal, es war ihr ein Vergnügen, ihn endlich wegzusperren. Er ist völlig weggetreten. Informierte sie ihre Kollegin. Wir bringen ihn zum Amtsarzt. Zusammengesunken und nicht ansprechbar saß Toto auf der Rückbank des gepflegten Einsatzwagens. Nachdem Marie sie bei der Polizeiärztin abgegeben hatte, war ihre Schicht beendet, und sie fuhr mit einem Biogasbus in die Vororte, wo sie sich mit ihrer Mutter eine Wohnung teilte. Die beiden Frauen bestellten sich ein veganes Abendbrot. Marie besuchte gegen zehn noch die Weiterbildung. Keiner schlief. Keiner langweilte sich. Man bildete sich weiter, machte Sport, ließ sich massieren, man hielt sich fit. Offen geäußerte Langeweile ist wie Rauchen. Strafbar.

Und weiter.
    Die Einrichtung war in stimmungsaufheiternden Farben gehalten. Viel Rosa, das wirkt beruhigend, keine Ecken, Rudolf Steiner hätte getanzt, das Licht hatte einen milden Schimmer, das Personal war hervorragend ausgebildet und kam vornehmlich von den Philippinen, die Philippinen wurden in der Welt hochgeschätzt für ihre Fähigkeit, mit Hilfsbedürftigen umzugehen, sie scheuten sich nicht vor Körperlichkeit, ja, sie suchten sie sogar.
    Das hätte zu Beginn des Jahrtausends doch wirklich keiner gedacht, dass die Erde so schnell zu einem harmonischen Ort werden könnte, in dem Ockertöne vorherrschten, dass es keine Kriege mehr gab, weil die Menschen mit dem Flicken der Erdoberfläche beschäftigt waren, dass es keine Religionen mehr gab, weil alle mit dem Überleben beschäftigt waren, und dass es nichts mehr gab,
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