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Vielen Dank für das Leben

Vielen Dank für das Leben

Titel: Vielen Dank für das Leben
Autoren: S Berg
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der Blick erfreut ruhen konnte, doch ruhen kann man nach dem Tod, dachte die Hebamme und ging ohne Erbarmen ihrer Pflicht nach: kleinen Kommunisten auf die Welt zu helfen.
    Die Hebamme war nicht geübt, schwer fassbare Zustände in sich als Gefühle zu erkennen. Unwohlsein machte ihr allein das Wochenende, wo sie unbehaglich in ihrem Zimmer saß und Bücher über das Schaffen großer Virologen las. Robert Koch mit seinem Netze, fing und verjagt die böse Tsetse, murmelte sie in Momenten großer Aufmerksamkeit, und die Schwesternschülerinnen sollten ihr gesamtes Leben zusammenzucken, fiel der Name Robert Koch.
    Die Verachtung, die die Hebamme für ihre Patientinnen empfand, entsprang ihrer tiefen Abneigung gegen Frauen. Keine einzige gab es, die in der Geschichte etwas geleistet hätte, was ihr Bewunderung abnötigte, auch stieß sie das Sexuelle ab, das dem Frausein anhaftet.
    Im Kreißsaal war es kalt.
    Das Krankenhaus war kalt. Das Land lag unter einem jener eisigen Sommer, die es nur alle hundert Jahre gibt, vielleicht auch öfter, auf das Klima ist kein Verlass. Sicher war nur die Brennstofflieferung. Es gab keine Kohle. Natürlich gab es keine Kohle im Sommer, auf Katastrophen war der realexistierende Sozialismus ebenso wenig eingerichtet wie auf freudvolles Gebären. Hätte eines damals als schwangere Frau Verrücktheiten wie Wasser-, Heim- oder Fühlgeburten in Gebärhütten eingefordert, es wäre vermutlich in eine friedvolle Einrichtung fernab der Zivilisation abtransportiert worden.
    Wenn doch nur endlich dieses Kind kommt und sie mich losschnallen wollten! Unangenehm gefesselt fühlte sich die Frau in der Pause zwischen den Schmerzen. Die Neonröhre an der Decke flackerte, die Frau beobachtete, wie ihr Atmen kleine Kondenswolken bildete, hörte entfernt das Klappern von Besteck. Sie werden das, was ich vielleicht gebäre, zubereiten. Mit einer Senfsoße.
    Kulinarisch war man in der Heimat der Frau nicht besonders verwöhnt, da wäre keinem eingefallen, sein Kind auf einer Quadriga nussiger Holunderschäume zuzubereiten, aber da, beim Gedanken an die Soße, die sich über ihr Baby ergoss, glitt es aus ihr hinaus.
    Na endlich, sagte die Hebamme.
    Es ist ein… fuhr sie fort, verstummte plötzlich, und schwere Stille wurde im Kreißsaal. Die Frau hörte nach Sekunden leisen Raunens ein Räuspern, dann wurde das Baby in ein Tuch gewickelt und ihr gereicht. Es ist gesund. Glaube ich. Sagte die Hebamme. Genaueres wird Ihnen der Arzt sagen.
    Die Frau betrachtete das Kind. Sein Kopf wirkte ein wenig zu groß in seiner absurden Rundheit, doch weiter konnte sie keine Defekte ausmachen, die eine dermaßen befremdliche Atmosphäre im Kreißsaal gerechtfertigt hätten. Seltsam allein der Blick des Kindes, fast erwachsen und müde. Wollte man diesem kleinen Gemüse Intelligenz andichten, so müsste man glauben, es wolle sofort wieder dorthin verschwinden, woher es gekommen war.
    Ich habe nie ein Kind gewollt, das macht keinen Sinn. Die Frau seufzte. Dieser Satz ist grammatikalisch unrichtig, wandte die Hebamme ein. Die Frau musste laut gedacht haben, und sie verdrehte die Augen. Wie sehr hasste sie sprachliche Klugscheißerei, die Erregung ob vermeintlicher Unrichtigkeiten. Alles muss gerade sein in diesem Land, und es muss Sinn haben. Man benötigt Diplome für jeden Bereich, ob man staatlich geprüfte Reinigungskraft oder Nachtwächterin ist, man muss Klassiker zitieren können, es ist unabdingbar, dass jeder Gebäudereiniger das Periodensystem der Elemente beherrscht. Selbst die Leitung eines Toilettenhauses verlangt nach einem Eignungstest, einer Ausbildung und schreit geradezu nach fortlaufender Kontrolle der geistigen Verfassung des Verantwortlichen.
    Ihre Verfassung war verschwommen, da lag ein Baby auf ihr, das alle schweigen ließ, mit seinem großen Kopf.
    Es war nur wegen ein paar Sekunden auf der Welt, wegen jenem Moment in einer Nacht, die nach Thekenholz und Alkohol gerochen hatte. Der kleine polnische Kohlenträger, der dicke alte Hausmeister, beide Männer vermutlich nicht mit überragendem Erbgut ausgestattet, kamen als Erzeuger in Frage, oder auch nicht, sie hatte sich am Morgen nur so verschwommen erinnert, dass es sich auch um einen Traum gehandelt haben konnte. Die Frau, jetzt Mutter, hatte die Schwangerschaft zu spät bemerkt, zu fremd war sie sich und zu unklar ihr Leben, sie würde sich vermutlich bis zum Ende an das bedauernde Kopfschütteln der Frauenärztin erinnern. Und an den Heimweg aus
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