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Vielen Dank für das Leben

Vielen Dank für das Leben

Titel: Vielen Dank für das Leben
Autoren: S Berg
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eine zusätzliche Person vorstellen, dieses Leben, das in den Abfluss gefallen war und nun irgendwo in der Kanalisation auf eine neue Fäkalwelle wartete, die es endlich wegspülte.
    Von sich ermüdet, versuchte die Frau ihr Kind mit einem liebevollen Gesicht zu betrachten.
    Sie verzog ihren Mund. Ihr Gesicht merkwürdig verzerrt, ein wenig schräg hielt sie den Kopf, doch es stellte sich kein Gefühl ein, nichts in ihr verlangte danach, das Baby an die Brust zu nehmen, es zu wiegen und zu beschützen.
    Wer wollte beschützen, was da mit einem Ausdruck der Überlegenheit lag, ohne sich zu rühren, wer konnte mögen, was wie ein Buddha tat, wenn man noch nicht einmal wusste, was ein Buddha ist? Was willst du von mir? Kannst du mir das verraten? Warum hast du dich in meinen Organen eingenistet, du Parasit, nur um von mir zu essen, zu wachsen und nun hier zu liegen und mich anzustarren? Du verachtest mich, ja? Ist es das, was du mir sagen willst? Oder willst du nicht mit mir reden? Red schon! Sag was! Das Kind sagte nichts. Toto empfing Signale, er sah Farben, Formen, die er noch nicht mit Gegenständen oder Menschen in Zusammenhang bringen konnte. Und er fühlte. In Anwesenheit seiner Mutter allerdings nicht viel. Er sah ihr Gesicht, da war nichts Warmes vorhanden. Toto fühlte sich unwohl und versuchte alle ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, um das zu ändern. Er riss die Augen auf, spitzte den Mund, er schwieg, um nicht zu stören, doch das Gesicht seiner einzigen Beziehungsperson veränderte sich nicht. Also gab er auf. Er musste sich schonen, denn das Leben scheint anstrengend zu werden.
    Die Frau wusste nicht recht, was zu denken sei oder zu planen, da lag einfach ein fremdes Kind in ihrem Zimmer und würde bleiben, bis es volljährig war. Ein kleines Glas Martini würde helfen, und so trank sie, bis ihr Bewusstsein wieder in den Abfluss glitt, dann legte sie sich neben das Kind zu Bett.
    Als sie erwachte, mit einem schlechten Geschmack im Mund und mit einem Schmerz im Kopf, wie jeden Morgen seit Jahren, nahm sie das Kind zuerst nicht wahr, sondern sah für einen Moment nur das Zimmer in seiner Unverständlichkeit. Ein Gasherd stand in der Ecke, daneben eine Badewanne und ein bis unter die Decke gewachsener Wasserboiler, den man mit Kohle beheizen musste, die es nicht gab. Es war der Frau angenehmer, seit sie ihre Matratze in die Küche gelegt hatte. Das Schlafzimmer sah in den dunklen Hof hinaus, dort war es kalt, zu jeder Jahreszeit, und der Geruch der Toiletten, die sich auf jedem Stockwerk befanden, scharf. Das Wohnzimmer hingegen war nicht zum Leben gemacht, es diente ihr als Museum, um Bilder aus der Vergangenheit zu erzeugen, mit denen keine Gefühle verbunden waren. Sie sah die Bücher und wusste, dass sie alle irgendwann einmal gelesen hatte. Damals, als sie noch an eine Zukunft glaubte.
    Die Küche war der kleinste und wärmste Raum, alles, was sie brauchte, war in Griffnähe neben der Matratze, der Plattenspieler und immer, jeden Morgen, die gleiche Musik, Robert Schumann, Klavierkonzert a-Moll, op. 54, gespielt von Svjatoslav Richter in Begleitung der Warschauer National-Philharmonie. Sie kochte Wasser, goss es zum Kaffeepulver und füllte die Tasse mit Wodka auf. Die Minuten am Morgen, zwischen Wachheit und erneutem Rausch, begleitet von der Musik ihrer Jugend, waren ihr unberührt. Sie saß auf dem Küchenstuhl, und das Baby schrie zum ersten Mal. Leise, als sei es ihm peinlich, noch nicht die passenden Worte für seine Bedürfnisse zu kennen. Toto war ungehalten, weil er sich nicht ausdrücken konnte, ein furchtbarer Zustand, den ein Erwachsener nur mit dem Notfall in einem fremden Land vergleichen kann, wo man kein Wort der Sprache versteht. Seine ersten Tage auf der Welt machten Toto ratlos. Warum da keine Freundlichkeit war, das konnte er noch nicht verstehen.
    Die Kopfschmerzen der Frau verstärkten sich, unwillig bereitete sie eine Flasche mit klumpender Babynahrung, die sie dem Kind gern in die Hand gedrückt hätte, um es nach draußen zu schicken, und doch war es dann fast ein Moment des Friedens, als sie ihren Kaffee mit Wodka trank, das Kind sein mehliges Getränk zu sich nahm und danach die Frau ansah, mit einem Blick, der fast weinen machte, weil er so demütig schien. Die Frau sprang auf, denn wenn sie eines nicht wollte, dann einen Menschen, der von ihr abhängig war. Das macht doch solche Angst, dass da einer von dir abhängt, plötzlich, obgleich sie das doch kennen
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