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Vielen Dank für das Leben

Vielen Dank für das Leben

Titel: Vielen Dank für das Leben
Autoren: S Berg
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kapitalistischen Systems.
    Rauchen, saufen, Drogen nehmen, die kleinen Fluchten, das Völlern und Lümmeln war ausschließlich Sache der Bettler und Milliardäre geworden, der Rest der globalen Welt joggte, Gemüse kauend, durch den Arbeitsalltag. Eine prachtvoll kontrollierbare Menschheit war da herangewachsen, die überwacht, registriert und vor allem eigenkontrolliert funktionierte. Da verursachte keiner mehr hohe Kosten, da trennte keiner mehr seinen Müll nicht oder hielt sich ein großes Auto. Die Hundehaufen kamen in wiederverwertbare Säckchen, die Wäsche wurde selten gewaschen, die Atomkraftwerke abgeschaltet, die Frauen, die die Welt regierten, taten das gütig, doch mit der Strategie absoluter Vermeidung von gefährlichen Eventualitäten, wozu dummerweise das Leben gehört. Es war alles so reibungslos geworden, die Welt auf Ritalin und anderen Psychopharmaka, die Menschen prächtig eingestellt, hervorragende Uhrwerke.
    Béatrice versuchte sich in ihr neues Leben zu schicken. Sie ging arbeiten, in der Mittagspause ins Fitnessstudio, sie ernährte sich organisch, an den Wochenenden fuhr sie auf die Hügel in Erlebnisbiofarmen und erwarb Produkte. Sie hatte keinen Kontakt zu ihren Nachbarn, doch das gute Gefühl, dass alle aussahen wie sie, ohne jedes Übergewicht. Man grüßte sich, man sah sich nicht in die Augen, die Kinder gingen so selbstverständlich in Therapiegruppen mit anschließender medikamentöser Einstellung wie früher zum Fußballspielen. Spielen war ein Verb, mit dem sie nun nur noch die Welt des Internets verbanden. Der Rest war Arbeit, Vorbereitung auf die Berufswelt und Sport. Da war er endlich, flächendeckend, der neue Mensch. Es gab keine Freaks mehr, die unter langen verfilzten Haaren mit Crowley redend durch die Stadt wackelten, es gab keine Punks mehr, keine Anarchisten, keine revolutionären Zellen, kein Zeichen des Aufbegehrens, nirgends. Die Menschen waren zu beschäftigt, ihren Lebensstandard zu halten, besorgt, auch noch ihre zentralgeheizte Wohnung in den Vororten zu verlieren. Ohne jenes minimale Einkommen, das man nur mit neun Stunden Beschäftigung täglich erzielen konnte, landete man auf der Straße und dann im Heim, und das will doch keiner, da ahnt man doch, dass man die Heime nicht lebend verlassen wird.
    Béatrice hatte Kopfschmerzen. Sie fühlte sich als Aussätzige in einer Welt der Gesunden. Keiner sprach mehr über Krankheiten, Gebrechen oder Schwächen. Alle lächelten vom Betreten des öffentlichen Raumes an. Sie winkten sich beim Joggen zu, aus den Fenstern ihrer Elektrofahrzeuge, mit den Körbchen voller Bionahrungsmittel, mit denen sie am Wochenende von den Bergen hopsten. Die weißen Menschen, die früher dem Mittelstand angehört hatten, die früher zu Lesungen gegangen waren und ein Theaterabonnement besessen hatten, die nun in ihren Vororten saßen und jeden Bissen sechzigmal kauten, glichen sich in beängstigender Weise. Man konnte die Bewohner Europas und Amerikas nicht mehr auseinanderhalten, sie alle trugen praktische atmungsaktive Kleidung, die nicht chemisch behandelt worden war. Keiner färbte sich mehr das Haar, alle hatten prächtige künstliche Zähne und weiße, ungebräunte Gesichter. Alle waren in ähnlicher Art arm, die bedeutete, dass es keinen Luxus für sie gab. Sie konnten in Gruppen in andere Vororte reisen, sie konnten sich mit Kunstnahrung gut im Fleisch halten, sie konnten in Europa billig produzierte Kleidung tragen, aber all die Extras, die zu besitzen die Menschen früher angespornt hatte, die Kreuzfahrten, die Luxushotels, die Autos, die Sterneküche, die Designerkleidung, all das war heute für sie unerreichbar.
    Als es wärmer wurde, begann Béatrice nach der Arbeit nicht mit der Métro in ihren Vorort zu fahren. Sie ging auf den Platz, setzte sich mit Kaffee auf die Bank unter ihrer früheren Wohnung. Und vergaß irgendwann, heimzugehen. Von da an, von diesem Irgendwann an, lebte sie auf der Place Bourg-Tibourg und ging nicht mehr arbeiten, sie wollte ihre Wohnung nicht aus den Augen lassen, der Inder war erst ein Mal aufgetaucht. Ein junger, eloquent federnder Mann, mit Maßschuhen und einem guten Geschmack. Sie sah ihn an ihrem Fenster sitzen.
    Als es kühler wurde, kam der Alkohol, er stand plötzlich neben ihr, das Betteln hatte sie nie bewusst begonnen, die Menschen gaben ihr freiwillig etwas. Sie lebte nicht schlecht auf der Bank von den Touristen, aber den Inder, den hasste sie. Sie wusste unterdessen, wann er nach
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