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Vielen Dank für das Leben

Vielen Dank für das Leben

Titel: Vielen Dank für das Leben
Autoren: S Berg
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Hause kam, um zehn, wann er das Haus verließ, um neun, dass er keine Freundin wollte oder keine fand, er war nicht besonders attraktiv. Mit jedem Tag mehr wurde Béatrice zu ihm, wurde zum Inder, wurde er, ging mit ihm in ihre Wohnung, sah durch ihn aus dem Fenster, wippte in ein Büro, schlief in ihrem alten Bett und löschte sich selber aus, unten auf der Bank.
    Die Polizei hatte Béatrice im Winter vom Boden gekratzt, sie waren davon ausgegangen, dass da eine Leiche lag, denn Obdachlose wurden in Ruhe gelassen, keiner mochte sie berühren, die Obdachlosen, sie können Krankheiten übertragen, sie sind voller Bakterien. Bakterien hatten sich zum Tick der Weltbevölkerung entwickelt. Fast jeder hatte Hautinfekte wegen des zügellosen Umgangs mit antibakterieller Waschlotion, alle Kinder wuchsen mit antibakteriellen Windeln, antibakterieller Nuckellösung und antibakteriellen Gesichtstüchern auf, mit denen ihnen ständig Speisereste entfernt wurden. Die Folge war eine zunehmende Schwächung des Immunsystems, aber an irgendwas müssen sie ja sterben, die Leute.
    Béatrice allerdings lebte noch, sie wurde in einer Einrichtung zur Betreuung Obdachloser gesund gepflegt und danach wieder auf die Straße entlassen. Sie wollte es nicht anders. Sie wollte nicht in eines der Heime auf dem Land, wo Obdachlose sauber verwahrt wurden und auf den Feldern arbeiten konnten, sie wollte zurück zu ihrem Platz, zurück auf ihre Place Bourg-Tibourg. So wurde sie gechipt und entlassen und saß bald wieder auf ihrer Bank.
    Ihre Wohnung war unterdessen zu einem Loft umgebaut worden, der Inder verschwunden, und Béatrice zog unter die Brücke, unter der sie nun saß und Wasser ließ, um eine Gruppe japanischer Touristen zu erschrecken.

Und weiter.
    Ein Inder war zu ihrer Gruppe gekommen. Wobei dieses Kommen keiner beobachtet hatte, er war plötzlich dagestanden. Nass war er gewesen, und vielleicht hatte er sich in der Seine ertränken wollen, die von dem traurigen Nichts während der Regenmonate zu einem reißenden Strom wurde, der oft über die Ufer trat. Sein Tonfall verriet den Besuch einer englischen Eliteschule, die sich allerdings nicht mehr in England aufhielt, sondern in Schanghai und Jakarta. Allein der Alkohol trübte ein klein wenig seinen eleganten Akzent. Wenn schon die IT-Inder unter Brücken ziehen müssen, dann stimmt doch was gewaltig nicht, in der Welt da draußen, vor der Brücke. Die kleine Pennergruppe war nicht erfreut über die internationale Bereicherung, da ist kein Unterschied, nirgends auf der Welt mag man die Neuen, die Zugezogenen. Sie könnten Ärger machen. Allein Béatrice schien über Gebühr entzückt ob des Inders, sie wollte ihn gar nicht aus dem Auge lassen und begann immer wieder zu kichern. Die Biologielehrer, von denen Toto nie wusste, ob es drei waren oder vier, arrangierten sich, und nach einigen Tagen war der Friede in der kleinen Gemeinschaft wiederhergestellt.
    Toto hatte, wie auch schon zuvor in ihrem Leben, die Aufgabe der Seelsorgerin übernommen, sie hörte zu, tröstete, versorgte. Bevor die Brückenbewohner gegen Nachmittag ausschwärmten, um ein bisschen zu betteln, Besorgungen zu machen oder ihre schönen alten Wohnungen von außen zu besichtigen, saß jeder in seinem Deckenhaufen, wühlte mit wichtigem Gesicht in seinen Papieren oder betrachtete seine Füße. Toto sah nach jedem, einfach damit der Kontakt erhalten blieb und jeder eine Art kleines Morgengespräch führen konnte. Ihr selber war am Morgen nicht mehr übel als am Abend, sie hatte sich mit ihrem niedrigen Energielevel arrangiert und kauerte gerade vor einem der Biologielehrer, der noch nicht saß, sondern verkrümmt auf seiner Matratze lag. Ich möchte mich jeden Morgen umbringen, sagte der Biologielehrer. Jeden Morgen, hören Sie. Und Toto fragte: Was versprechen Sie sich davon?
    Ruhe. Sagte der Biologielehrer. Ich möchte mich nicht mehr fragen, ob ich mein Leben vertan habe, diese eine, funkelnde Chance, die Verheißung einer Villa im Grünen, serielle Monogamie und das Halten eines Haustieres, das wären doch alles wundervolle Optionen gewesen, ich hätte mich nur den Anforderungen des Marktes stellen müssen. Ich frage mich, an welcher Abzweigung im Leben ich den falschen Weg genommen habe und ob mich die andere Richtung glücklich gemacht hätte. Ich werde das nie erfahren. Ich werde so viel nie erfahren, das hat mich damals wahnsinnig gemacht, als ich an der Abzweigung stand. Ich hatte eine Kollegin kennengelernt,
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