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Vielen Dank für das Leben

Vielen Dank für das Leben

Titel: Vielen Dank für das Leben
Autoren: S Berg
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die für ein Zusammenleben sehr geeignet gewesen wäre. Sie war auf dem Weg zur Schulleiterin, wir hätten eine Eigentumswohnung in der Vororten haben können, später die Villa, wir hätten in vitro ein Kind erzeugen können, und die Idee hat mich durcheinandergebracht. Ich hätte doch genauso gut in ein anderes Land ziehen können, ich war damals Anfang dreißig, hätte Feuerwehrmann in Los Angeles werden können und dort nach dem Erdbeben Aufbauarbeit leisten, ich hätte an eine Eliteuni gehen können oder schwul werden, ich habe da so Tendenzen, sagte der Biologielehrer und schaute Toto hungrig an. Toto sah in die Weite der Steppe. Ich habe da so Tendenzen, sagte der Biologielehrer und legte seine Hand auf Totos mageres Knie, und ich dachte, wenn ich meine homoerotische Seite auslebte und die Frau als Regulativ wegfiele, könnte ich unentwegt Sex haben, aber es waren zu viele Möglichkeiten, verstehen Sie? Und dann habe ich die Beziehung mit der Rektorenanwärterin abgebrochen, nur noch einen minimalen Arbeitseinsatz geleistet und dann irgendwann ganz aufgegeben. Der ehemalige Biologielehrer war nordischer Herkunft. Er siezte Toto seit Monaten und versuchte damit über seine Herkunft aus der Provinz hinwegzutäuschen.
    Was hält Sie denn ab, sich das Leben zu nehmen, fragte Toto.
    Ich denke, vor meinem Tod sollte ich noch ein Buch schreiben, sagte der Biologielehrer und versank in Schweigen.
    Toto hatte einen Ausweis der öffentlichen Bücherei erworben, erstaunlich, dass es die noch gab, denn Büchereien waren komplett sinnlos geworden. Es wurde gelesen, aber ausschließlich auf Bildschirmen, nicht mehr oder weniger als zu irgendeiner Zeit, die Bücher waren nur noch homogener geworden. Es gab nicht mehr viel, was Künstler aufzuregen vermochte. Die Kunst war zu einem von Schwere ungetrübten Unterhaltungsmedium geworden, ab und zu arbeitete sich ein besonders nachdenklicher junger Mensch an seiner Kindheit ab, weil die jedoch zu unergiebig war, weil sie sich alle glichen, die jungen Jahre in den Vororten, wo es den Kindern an nichts fehlte, außer an Schönheit, floss der Markt über von Kindheitserinnerungen aus des Großvaters Zeit, aus den fünfziger Jahren des letzten Jahrtausends, da wurde gemalt, geschrieben und gebildhauert, dass es ein Vergnügen war, und immer war der Geruch in Großmutters Küche ein wichtiger, fast entscheidender Faktor. Es bedurfte, wenn man der Sache ins Gesicht sah, keiner Kunst mehr.
    In Paris existierte noch eine Schaubibliothek mit gebundenen Büchern, in der Studentinnen als Bibliothekarinnen verkleidet arbeiteten. Ab und an nutzte Toto die Bücherei und schleppte schwere Partituren an die Kaimauer, die sie nachsang. Ein einträgliches Geschäft, besonders die Japaner waren sehr freigiebig, wenn es um musikalische Darbietungen ging.
    Toto schaute aufs Wasser, das grau und bösartig bis zum Rand der Kaimauer floss, es hatte seit Tagen geregnet, und besann sich des Biologielehrers, der zusammengesunken und nicht angenehm riechend auf seiner Matratze lag und irgendeine Art von Trost erwartete, einen Zuspruch, ein wenig Optimismus. Aber den konnte Toto ihm nicht geben, denn sie wusste, dass man seinen Grundzustand nur mit Chemikalien verändern kann, und nicht mit Denkmustern. Wenn jemand sterben will, so soll man ihn nicht aufhalten. Toto überwand sich und streichelte den Mann, der sich grunzend unter der Berührung wand.
    Hier konnte sie nichts mehr tun. Toto wurde übel. Plötzlich von kaltem Schweiß bedeckt, taumelte sie zu ihrer Kartonvilla zurück. Es wäre ihr in einer der modernen Wohnungen in den Vororten nicht besser gegangen. Dort wäre sie eben auf einem Daybed gelegen. Vielleicht hätte sie den Butler gerufen. Es war ihr völlig egal, wo sie warum lag, sie fragte sich nichts. Das war vermutlich langsam das Ende ihres Lebens, es wäre überall ähnlich zu Ende gegangen.
    Toto lag am Boden, sie hatte eine Art Schüttelfrost. Es ging ihr elend. Von weit her hörte sie die Biologielehrer, die mit Béatrice verkehrten. Toto übergab sich.

Der Polizeiwagen fuhr in Richtung Seine.
    Es war Mittag, die Touristen drängten einander durch die Innenstadt, die Eingeborenen arbeiteten, die Züge fuhren regelmäßig, der Himmel war wie ständig verhangen. Es war Herbst oder Winter. Es war egal.
    Die weibliche Regierungsspitze hatte für ein reibungsloses Vorankommen der Einsatzstaffel gesorgt. Es war fast unmöglich, ein Fahrzeug zu privaten Zwecken zu unterhalten. Steuern und
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