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Bélas Sünden

Bélas Sünden

Titel: Bélas Sünden
Autoren: Petra Hammesfahr
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1. Kapitel
    Als in meinem Schlafzimmer geschossen wurde, war ich unterwegs zwischen Koblenz und Bonn. Ich saß im Zug, starrte in die Dunkelheit und sah doch nur das Abteil und mein Gesicht in der Scheibe. Es regnete; draußen ebenso wie drinnen. Nicht im Zugabteil, nur in mir. Ich hätte gerne richtig geheult.
    Ich kam von einer Lesung aus Frankfurt und konnte der Polizei später nicht viel sagen; zu den Vorgängen im Haus gar nichts. Nur dass ich um zwanzig Minuten nach zehn abends in Köln am Hauptbahnhof ankam. Laut Plan sollte der Zug um fünf nach zehn in Köln sein, er hatte eine Viertelstunde Verspätung. Das konnten sie nachprüfen. Ob sie es getan haben, weiß ich nicht. Ich sagte ihnen auch, dass ich am Bahnhof eine halbe Stunde auf meinen Mann gewartet hätte, weil Béla versprochen habe, mich abzuholen. Dafür musste es Zeugen geben. Nicht für Bélas Versprechen, nur für die halbe Stunde Wartezeit.
    Da war eine Wurstbude. Ich wollte mir dort einen Kaffee kaufen, aber es gab natürlich nur Würstchen. Ich blieb in unmittelbarer Nähe des Standes, rauchte drei oder vier Zigaretten, obwohl alles zur Nichtraucherzone erklärt war, schaute immer wieder auf die Uhr. Ich muss zwangsläufig den Eindruck einer Frau gemacht haben, die mit jeder Minute unruhiger wird.
    Das fiel auch den Männern auf, die an der Wurstbude standen. Einer machte mich blöd an.
    »Hat er dich versetzt, Schätzchen?« Er fragte, ob ich mit ihm vorlieb nehmen möchte, etwas in der Art. Was genau er sagte, weiß ich nicht mehr.
    Ich war wirklich sehr nervös, wusste nicht, ob ich nach Hause fahren sollte oder wollte. Béla konnte mich gar nicht abholen. Ich hatte ihn mit meiner Ankunftszeit beschwindelt, weil ich mich seit Wochen mit dem Verdacht quälte, dass er mich betrog – auf eine ganz infame Weise und in meinem eigenen Bett. Das ist der Gipfel, nicht wahr? Wozu hatte er denn ein eigenes Schlafzimmer, wenn er es schon unbedingt in unserer Wohnung treiben musste?
    Ich wollte ihn auf frischer Tat ertappen, wie man so schön sagt. Vielleicht hätte ich es dann geschafft, mich von ihm zu trennen, zumindest vorübergehend, für ein paar Wochen. Und ich hoffte inständig, dass er alleine wäre, überrascht, mich früher als erwartet wieder zu sehen, und glücklich, dass ich wieder bei ihm bin.
    Um Viertel vor elf nahm ich mir endlich ein Taxi. Der Fahrer war ein älterer Mann. Ein Schwergewicht von der Art, die einem das Gefühl gibt, dass im Umkreis ihrer Person Ruhe und Frieden herrschen. Er wirkte auf mich wie ein Wellenbrecher. Und er war auch einer von denen, die gerne reden. Wir unterhielten uns während der gesamten Fahrt.
    Er hatte mein Foto in einer Zeitung gesehen und sprach mich darauf an. Es gab in den letzten Wochen mehrere Artikel. Alle unter dem Motto: Die rasante Karriere der Lisa Szabo. Von der Anfängerin zur Erfolgsautorin in nur zwei Jahren. Das stimmt nicht ganz. Ich hatte schon lange vorher ganz gut mit Kurzgeschichten verdient. Nur war keine unter meinem Namen erschienen. Es war nichts dabei, auf das ich mich heute mit Stolz berufen würde.
    Kleine Heile-Welt-Geschichten waren es, nicht unbedingt das, was man niveauvolle Unterhaltungsliteratur nennt.
    Die mache ich tatsächlich erst seit zwei Jahren, insofern ist es eine rasante Karriere. Und da gab es in den letzten 4 Wochen zahlreiche Interviews, Buchbesprechungen, sogar eine kleine Gesprächsrunde, die während der Frankfurter Buchmesse im Fernsehen gezeigt wurde.
    Der Taxifahrer fühlte sich geschmeichelt, weil da so etwas wie eine Berühmtheit neben ihm saß und ihn nicht mit ein paar lapidaren Floskeln abspeiste. Aber ich hatte selbst das Bedürfnis zu reden. Ich hatte panische Angst vor dem Heimkommen. Einen Klumpen im Magen, einen Knoten in den Eingeweiden und diese Leere im Kopf, die keine richtige Leere ist. Sie ist voll mit Bildern, die sich aufdrängen, die man verscheuchen will. Und dann spricht man drauflos, um sich abzulenken.
    Normalerweise ist es nicht meine Art, einem Wildfremden meine Lebensgeschichte zu servieren. Ich wollte auch nur, dass dieser Taxifahrer wusste: Ich war eine glücklich verheiratete Frau. Ich dachte, wenn er es glaubt, kann ich es vielleicht auch glauben. Glücklich verheiratet und verliebt wie am ersten Tag, Mutter einer erwachsenen, hochintelligenten, sehr tüchtigen Tochter und beruflich erfolgreich. Eine Frau, die etwas aus ihrem Leben hatte machen wollen, etwas Besonderes, etwas Ungewöhnliches.
    Und jetzt, wo ich das
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