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Die Grenadière (German Edition)

Die Grenadière (German Edition)

Titel: Die Grenadière (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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Die Grenadière ist ein kleines Besitztum am rechten Ufer der Loire, etwa tausend Schritt von der Brücke von Tours stromabwärts gelegen. An dieser Stelle ist der Fluß so breit wie ein See; er ist mit grünen Inseln übersät, und an seinem Ufer erhebt sich eine Felspartie, auf der mehrere Landhäuser aus weißem Stein liegen, die von Weinbergen und Gärten umgeben sind, und in denen, da sie nach Süden gelegen sind, die herrlichsten Früchte der Welt reifen. Mühselig sind vor mehreren Generationen Terrassen aufgemauert worden; die Vertiefungen der Felsen reflektieren die Sonnenstrahlen und lassen vermöge dieser so erzeugten Temperatur die Früchte der heißesten Klimate im Freien reifen. In einer der weniger tiefen Krümmungen, die diesen Höhenzug durchschneiden, sieht man den spitzen Kirchturm von Saint-Cyr, einem Dörfchen, zu dem alle diese zerstreut liegenden Häuser gehören. Etwas weiter entfernt ergießt sich die Choisille in die Loire in einem fruchtbaren Tal, das den lang hingezogenen Abhang durchbricht. Die auf halber Höhe des Felsberges etwa hundert Schritt von der Kirche gelegene Grenadière ist eine jener zwei- bis dreihundert Jahre alten Bauten, denen man in der Touraine an jeder hübschen Stelle begegnet. Ein Einschnitt im Felsen hat die Anlage einer Rampe ermöglicht, die in sanfter Neigung bis zu dem ›Damm‹ führt, wie man hier den unten am Ufer aufgeführten Kai, der das Austreten der Loire verhindert, nennt, und über den hin die große Landstraße von Paris nach Nantes führt. Oben an der Rampe befindet sich ein Tor, hinter dem ein schmaler steiniger Weg beginnt, der zwischen zwei Terrassen hindurchführt, einer Art von mit Weinreben und Spalieren besetzten Festungswerken, die das Abrutschen der Erde verhindern sollen. Dieser Weg zieht sich am Fuße der höchsten Terrasse hin und wird fast ganz von den Bäumen derjenigen verdeckt, über der er läuft; er führt in raschem Abstieg zu dem Hause und gestattet einen Blick auf den Fluß, der bei jedem weiteren Schritt sich mehr verbreitert. Dieser Hohlweg endet an einem zweiten Tor in gotischem Stil, das überwölbt und mit einfachen, aber halb zerstörten Ornamenten geschmückt und von wilden Levkojen, Efeu, Moos und Mauerkraut überwachsen ist. Die unverwüstlichen Pflanzen schmücken auch die Mauern aller Terrassen, bei denen sie aus den Spalten der Steinschichten herauswachsen und in jeder Jahreszeit andere Blumengirlanden bilden.
    Hinter diesem wurmstichigen Tor befand sich ein kleiner Garten, der dem Felsen mit Hilfe einer letzten Terrasse, deren alte geschwärzte Balustrade alle andern beherrschte, abgerungen worden war, und zeigte seine mit etlichen grünen Bäumen und einer Fülle von Rosenstöcken und Blumen geschmückte Rasenfläche. Gegenüber dem Portal, am andern Ende der Terrasse, befand sich ein hölzerner, an die Nachbarmauer angelehnter Pavillon, dessen Pfosten unter Jasmin, Geisblatt, Weinreben und Klematis verborgen waren. Inmitten dieses Gartens erhob sich das Haus auf einer ansteigenden Anhöhe, die mit Wein bewachsen war und in der sich die Tür zu einem im Felsen ausgehöhlten Keller befand. Der Bau war mit Weinstöcken und im Freien wachsenden Granatbäumen umgeben, woher die Meierei ihren Namen erhalten hatte. Die Fassade hatte zwei durch eine mittelgroße, sehr plumpe Tür getrennte Fenster, und im Dach, das im Verhältnis zu der Höhe des Erdgeschosses übergroß war, drei Mansardenfenster. Das zweigiebelige Dach war mit Schiefer gedeckt, die Mauern des Hauptgebäudes waren gelb gestrichen, die Tür, die Fensterläden unten und die Jalousien der Mansarden grün.
    Wenn man hineintrat, befand man sich auf einem kleinen Absatz, von dem eine gewundene Treppe hinaufstieg, deren Anlage bei jeder Wendung eine andere war: ihr Holz war fast verfault; das Geländer dieser Wendeltreppe hatte der langjährige Gebrauch dunkel gemacht. Zur Rechten lag ein großes, in altmodischer Weise getäfeltes Eßzimmer, dessen Fußboden aus weißen, in Château-Regeault hergestellten Fliesen bestand; zur Linken befand sich ein Salon von ähnlicher Größe, aber ohne Täfelung und mit einer rosenfarbenen Tapete und grüner Borte. Beide Zimmer waren nicht verschalt; die Deckenbalken waren aus Nußbaumholz und ihre Zwischenräume mit weiß gestrichenem Lehm ausgefüllt. Im ersten Stock befanden sich zwei große Zimmer mit weiß gestrichenen Wänden und steinernen Kaminen, die weniger gut gearbeitet waren als die im Erdgeschoß. Alle Fenster
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