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Viele Mütter heißen Anita

Viele Mütter heißen Anita

Titel: Viele Mütter heißen Anita
Autoren: Heinz G. Konsalik
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und seine Augen waren rot.«
    »Rot?«
    »Ja. Ich habe noch nie einen so schönen Vogel gesehen. Ich habe ihn gezeichnet und dann in Stein gehauen.«
    »Und ich werde ihn sehen, den Vogel mit den roten Augen?«
    »Ja.« Juan stockte. »Wenn Sie es wollen …«
    »Ich will es«, sagte sie fest.
    »Dann freue ich mich schon darauf«, entgegnete er still.
    Sie gingen die staubige Straße hinab und kamen an den Feldern vorbei, die schon zum Dorfe Solana del Pino gehörten, diesem Dorfe an der Santa Madrona, das halb aus Hütten und halb aus kleinstädtischen Steinhäusern bestand und in dessen Mitte, auf dem Gemüsemarkt, ein kleiner Brunnen war, auf dem ein Mann – es war ein Heiliger – aus einer silbernen Krücke seines Stockes einen dünnen Wasserstrahl in ein kleines Becken laufen ließ. Meist war aber kein Strahl da, vor allem im Sommer, und erst, wenn wieder Wasser aus dem Stocke des Heiligen floß, atmeten die Bauern auf und sagten freudig: »Es wird Herbst … Die Felder haben wieder Wasser … Es wird ein gutes Jahr werden … Der Heilige von Solana del Pino speit wieder Wasser …«
    Das Dorf – oder die Stadt, wie die Bewohner Solanas es stolz nannten – war die einzige Ansammlung von Menschen, die Juan in seinem Leben gesehen hatte. Hier war er einige Jahre zur Schule gegangen und hatte bei einem alten, klapprigen Schulmeister notdürftig schreiben, lesen und rechnen gelernt und ein wenig Kunde von der Welt außerhalb der Felder der Sierra Morena. Aber es war nicht viel, was er in diesen vier Jahren an Wissenschaften mitbekommen hatte … er mußte dann zu Hause bleiben, weil der Vater starb und der Hof auch die Arme eines kleinen Jungen brauchte, und sei es nur zum Füttern der Hühner oder zum Rühren der Schweinekleie oder zum Wassertragen in die Ställe. Erst als er älter wurde, hatte er sich Bücher kommen lassen, die er mühsam las, ehe die Übung mit den Buchstaben ihn lesen ließ wie alle erwachsenen Menschen. Oft begriff er nicht gleich, was er las, vor allem, wenn es von fremden, unbekannten Ländern war … dann saß er oft vor den Büchern und dachte darüber nach, und seine Phantasie spielte und zauberte ihm ein Bild vor die Seele, das oft schöner, zu schön war für das, was im Buch stand und er nicht verstehen konnte. Sooft er deshalb nach Solana del Pino kam, und es war nicht oft, vielleicht drei- oder viermal im Monat, ging er zu einem gelehrten Mann, einem Rechtsanwalt, und ließ sich die unbekannten Ausdrücke erklären. Er behielt sie dann, und er lernte das Lesen und Verstehen besser, als hätte er lange die Schule besucht.
    Er war verbissen in diesen Lerneifer, er gönnte sich keine Stunde des geselligen Spiels mit den gleichaltrigen Burschen, und nur bei den lustigen Volksfesten sah man ihn in seiner bunten Tracht und freute sich, daß auch er so lustig war. Dann aber, wenn der Alltag wieder über die Berge zog, lernte er weiter, las und schrieb, rechnete und malte, und der alte Lehrer war es auch, der ihn als erster wegen seiner Zeichnungen lobte und mit ihm übte, den zuerst nur gefühlsmäßigen Strichen eine bewußte Richtung und eine durchdachte Form zu geben. Auch der alte Rechtsanwalt sah mit Wohlwollen auf den lerneifrigen Bauernjungen, und auch er griff in sein junges Leben ein, indem er ihm den Blick in die Welt öffnete und durch Bücher seinen hungrigen Geist bildete. Nun lagen die beiden längst in der kastilischen Erde, und der Junge Juan war ein halber Mann geworden, drängend in seinem Können, durchpulst von Leben, das nur eines Anstoßes bedurfte, um hell zu schäumen und sich reich zu entfalten.
    Sie bogen in ein Tal und sahen das Dorf liegen.
    Es war still – die Hitze brütete zwischen den weißen Mauern der flachdachigen Häuser und den Holzhütten, die am Rande der Felder standen. Der Heilige auf Brunnen war trocken … seit Wochen schon. Mit Staub überzogen träumte er in der Sonne und sah alt und brüchig aus.
    Das Mädchen Granja blieb stehen und klopfte noch einmal den Seidenrock ab, als könne er noch Spuren haben von der Wiese. »Gehen Sie bitte voraus, oder warten Sie hier, bis ich in der Stadt bin«, sagte es dabei zu Juan. »Es ist nicht gut, wenn ein junges Mädchen allein mit einem jungen Mann von den Bergen zurückkommt.«
    Er blieb stehen und drückte zaghaft die schmale Hand, die ihm das Mädchen reichte.
    »Wann kann ich Sie wiedersehen?« fragte er schüchtern.
    »Wiedersehen?«
    »Ja, wegen des steinernen Hasen und des Adlers.«
    »Ach
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