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Einmal Paradies und zurück

Einmal Paradies und zurück

Titel: Einmal Paradies und zurück
Autoren: Claudia Carroll
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Kapitel 1
    Was Beziehungen angeht, gibt es zwei Arten von Frauen. Diejenigen, die beim ersten Anzeichen von Problemen die Flucht ergreifen, und die, die um jeden Preis bei der Stange bleiben – und sei es auch nur, um genau mitzukriegen, wie holprig der Weg wird, der vor ihnen liegt.
    Ich gehöre eindeutig in die zweite Kategorie.
    Weswegen ich vermutlich auch hier gelandet bin. Nicht dass ich die leiseste Ahnung hätte, wo ich bin. Eigentlich weiß ich nur, dass dieser Ort sehr friedlich ist und sehr, sehr still. Nur ich und meine Gedanken. Irgendwie nett. Gefällt mir. Beinahe so erholsam wie ein Tag im Wellnesscenter, nur ohne die Anwendungen und das nervige Panflötengedudel.
    Über mir müssen sich unzählige Kubikmeter Luft befinden, die mich von dieser anderen Welt trennen, die ich, glaube ich, nicht wirklich verlassen habe – ich mache sozusagen nur eine kleine Werbepause. Bis ich meinen Kopf wieder sortiert habe und das Chaos, in dem ich mich befinde, sich etwas lichtet. Aber je länger ich hier unten bin, ungestört und ruhig, desto weniger möchte ich zurück.
    Nicht dass sie das aufhalten würde: Meine Mutter, meine Schwester, meine beste Freundin Fiona – eigentlich alle, denen ich in meinem ganzen Leben begegnet bin – scheinen wild entschlossen, mich hier wieder rauszuholen. Jemand muss ihnen erklärt haben, dass Menschen in meinem Zustand auf physische Reize reagieren und dass das Gehör das Sinnesorgan ist, das am längsten erhalten bleibt – und dass sie deshalb, wenn sie mit mir plaudern oder mir Musik vorspielen oder mir allgemein emotionales Cheerleading angedeihen lassen, eine reelle Chance haben, mich aus der Tiefe wieder emporzulocken.
    Wenn sie so weitermachen, bringen sie mich lediglich um den Verstand.
    Im Ernst, sie veranstalten eine Art Wettbewerb: Wer schafft es, mich zurückzuholen? Tag und Nacht erzählen sie mir bis ins kleinste Detail alles, was in der Welt draußen vor sich geht – und ich meine damit wirklich
alles
. Mum beschreibt mir in aller Ausführlichkeit, was für ein leckeres Bananensoufflé Delia Smith gestern Abend im Fernsehen zubereitet hat, Fiona erzählt mir von dem Kerl, den sie bei Facebook getroffen hat und der ihr – ungelogen! – beim ersten Date gestanden hat, dass er in einer Frau so etwas wie einen weiblichen John Wayne sucht. Aber beim Thema Männergeschichten sollte ich den Mund wahrscheinlich nicht zu voll nehmen. Fiona will trotzdem noch ein paar Dates mit ihm arrangieren, wie ein Eichhörnchen, das Nüsse für den Winter bunkert. Sie hat die Fähigkeit, romantische Begegnungen zu speichern und noch monatelang zu verwerten.
    Mum, es ist mir egal, wenn Delia sagt, es ist okay, wenn man ein bisschen mogelt, und Fiona, du musst aufhören zu glauben, dass du im Netz die große Liebe findest, sonst nennt dich bald jeder nur noch Facebook-Fifi.
    Mein Zustand muss wohl ziemlich besorgniserregend sein, wenn um mich herum alle so penetrant optimistisch sind, vor allem Mum. Jeder Fernsehprediger würde vor Neid erblassen. Dann noch die Musik, die sie mir in Endlosschleife vorspielen, lauter Zeug, von dem sie meinen, dass ich es gern höre. Von wegen. Es sind Sachen, die
sie
gern hören. Anscheinend ist Mum zu der Überzeugung gelangt, dass ich Swing mag, und wenn sie mir noch einmal »My Way« vorspielen, dann bleibe ich endgültig hier unten, ohne Scheiß.
    Die Sachen legst du nur auf, weil sie dich an Dad erinnern, Mum. Er hat Frank Sinatra geliebt, und sein liebster Partysong war immer
 …
    »You’re Nobody Till Somebody Loves You«, seufzt Mum leise und voller Wehmut. Wenn sie von Dad spricht, bekommt sie sofort eine ganz andere Stimme. »Das kam vorhin im Radio, als ich zum Krankenhaus gefahren bin, und bis zum heutigen Tag krieg ich einen Kloß im Hals, wenn ich es höre, weißt du. Ich werde nie vergessen, wie euer Vater mir bei unserer Silberhochzeit diesen Song vorgesungen hat. Natürlich warst du damals erst vierzehn oder so …«
    Aber ich kann mich sehr gut daran erinnern, Mum.
    »Er hatte so eine schöne Stimme. Alle haben immer gesagt, er hätte als Sänger Karriere machen können. Ach, wenn Gott ihn doch nicht schon so jung zu sich gerufen hätte. Na ja, Liebes, jedenfalls hab ich gute und schlechte Nachrichten für dich. Die schlechte ist, dass dein Auto Totalschaden hat …«
    Das ist nun wirklich meine geringste Sorge. Du hast den Slip nicht gesehen, den ich anhatte, als man mich hierher gebracht hat. Bis unter die Achseln
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