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Blutgrab

Blutgrab

Titel: Blutgrab
Autoren: Andreas Schmidt
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PROLOG
    Es war ein ganz normaler Abend. Als er vor das Mietshaus trat, lag die Straße still und verlassen vor ihm. Ein kalter Wind wehte das Quietschen einer vorbeifahrenden Schwebebahn an seine Ohren. Er blieb im Hauseingang stehen und verharrte einige Sekunden.
    Atmete tief durch.
    Die feuchtkalte Luft roch nach Schnee.
    Als er den Blick schweifen ließ, sah er den zu einem Stummel zurückgebauten Schornstein des Barmer Heizwerkes in den wolkenverhangenen Himmel ragen.
    Die Kälte kroch ihm unter die Kleidung. Fröstelnd zog er den Reißverschluss seines Anoraks zu und stellte den Kragen auf.
    Der Regen, der die Stadt in den letzten Stunden fest im Griff gehabt hatte, war nach Süden weitergezogen. Nun fegte ein eisiger Wind um die Häuserecken. Ihm konnte es recht sein. Er klemmte sich den Rucksack zwischen die Stiefel, zündete sich eine Zigarette an und paffte gedankenverloren den Rauch zum Himmel. Als er sich zum Haus umwandte, sah er, dass in zwei Fenstern trotz später Stunde noch das Licht brannte. Das Fenster der einen Wohnung gehörte zu einem einsamen Typen, der bei der Polizei arbeitete. In der anderen Wohnung hauste Alma Meyer, eine kauzige alte Frau, die nichts Besseres zu tun hatte, als den Putzplan für das Treppenhaus und die Einhaltung der Mittags- und Nachtruhe pedantisch zu überwachen. Das Recht, bei Verstößen der Mitmieter einzuschreiten, nahm sie sich einfach heraus. Immerhin wohnte Alma Meyer schon seit mehr als vierzig Jahren in dem Sechsparteienhaus.
    Natürlich bewegten sich die Gardinen in ihrer Wohnung, kaum dass die schwere Haustür mit einem satten Geräusch ins Schloss gefallen war. Erwartungsgemäß tauchte Alma Meyers Silhouette hinter der Gardine auf. Sie schien ernsthaft zu glauben, dass man sie von hier unten aus nicht sah.
    Doch es war ihm sogar recht, dass sie mitbekam, wie er das Haus verließ. Es war schließlich ein ganz normaler Abend. So sollte es zumindest für die Nachbarn aussehen. Ganz bewusst ließ er sie denken, dass er einmal mehr zur Spätschicht aufbrach, so, wie er es schon seit vielen Jahren tat.
    Doch dieser Abend war anders.
    Er würde sein Leben verändern.
    Das ahnten die neugierigen Nachbarn jedoch nicht.
    Nachdem er einige Züge an seiner Zigarette genommen hatte, warf er den Stummel achtlos in den Rinnstein. Der nahe gelegene Gulli gluckerte leise. Als die Glut in das Wasser fiel, zischte sie leise, dann hauchte die Zigarette ihr Leben aus. Es würde wahrscheinlich noch weitere Tote in den nächsten Tagen geben, durchzuckte es ihn. Doch er konnte keine Rücksicht nehmen. Für ihn konnte es nur besser werden. Er schulterte den Rucksack und marschierte die Straße hinunter. Fast körperlich konnte er dabei die Blicke von Alma Meyer spüren, die ihn verfolgten, bis er um die Straßenecke bog und ihrem Sichtfeld entschwunden war.
    Während er den Fußmarsch zur Schwebebahnhaltestelle »Alter Markt« zurücklegte, bereitete er sich auf die kommende Nacht vor. Sie hatten alles gut durchdacht.
    Eigentlich konnte nichts mehr schiefgehen, und in wenigen Stunden würde ein neues Leben für ihn beginnen. Das kalte Licht im Eingangsbereich der Schwebebahnstation blendete ihn. Mit der Rolltreppe fuhr er zum Bahnsteig hinauf. Ein junges Pärchen hockte auf einer Bank; sie saß auf seinem Schoß und hatte einen Arm um seine Schulter geschlungen. Das Mädchen, er schätzte sie auf siebzehn Jahre, blickte kurz auf, dann barg es seinen Kopf wieder am Oberkörper des Freundes, der stur auf den Bahnsteig starrte, als hätte er dort etwas Bewegendes entdeckt.
    Ein Betrunkener lehnte an dem orangefarbenen Fahrkartenautomaten.
    Alles lief gut, niemand schenkte ihm mehr als die nötige Aufmerksamkeit. Sie würden ihn bald schon wieder vergessen haben, so, wie er sie vergessen würde.
    Die Schwebebahn in Richtung Elberfeld näherte sich. Ratternd öffneten sich die vier Türpaare, und er bestieg den leicht an Gerüst pendelnden Zug, um sich auf einen der Hartschalensitze in Fensternähe zu setzen. Die Bahn war relativ leer, kein Wunder, war es doch ein ganz normaler Wochentag, und viele Menschen waren längst zu Hause. Nachtschwärmer traf man nur am Wochenende an.
    Mit einem leisen Surren der Triebwerke auf dem Dach der Bahn setzte sich der Zug in Bewegung.
    Er sank in die Lehne des Sitzes und schloss die Augen.
    Sein neues Leben konnte beginnen.

1
    Mit einem dumpfen Knall schlug die Kneipentür hinter dem alten Mann zu und schnitt das Stimmengewirr und Gelächter ab. Das
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