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Viele Mütter heißen Anita

Viele Mütter heißen Anita

Titel: Viele Mütter heißen Anita
Autoren: Heinz G. Konsalik
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einen kleinen Kranz daraus, ungelenk, ein bißchen krumm, aber doch einen Kranz aus braungrünem, hartem Gras. Den ließ er dann beim Gehen um seine Finger kreisen, spielerisch, balancierend, und es war doch nur ein Spiel, um seine Verlegenheit zu verbergen und seinen Gedanken einen anderen Halt zu geben, als die immerfort in seiner Seele sprechende Stimme: Sie ist so schön … sie ist so schön …
    »Ich habe zuletzt einen Hasen aus dem Stein gehauen«, sagte Juan nach einer Weile.
    »Einen Hasen?« Das Mädchen lachte leise. »Er muß schön aussehen. Ich möchte ihn gerne sehen …«
    Da erschrak Juan sehr und schwieg wieder. Sie will ihn sehen … wo soll ich ihn ihr zeigen? Soll ich sie in die kleine Höhle führen, in der ich die Steine liegen habe und den Hammer und den einfachen Meißel, den mir die Zigeuner für einen Sack Äpfel aus der Stadt mitbrachten? Ein Sack Äpfel, von dem Pedro nichts weiß und auch die Mutter nicht … Er hatte ihn gestohlen, in der Nacht, als alles schlief. Niemand kannte die Höhle, die er am Tage und wenn er wegging, mit einigen großen Steinen verschloß. Hier, im Innern des Berges, beim Schein brennender Holzstöße, war er glücklich und frei, hier saß er lange Stunden und sah den Sandstein und den harten Granit unter seinen Schlägen absplittern zu Formen, die sein Kopf ersann. Sein zarter Körper spannte sich wie eine Feder aus Stahl, wenn er die Blöcke von dem selbstgezimmerten Knüppeltisch hob und in die Ecke trug.
    Seit zwei Jahren hatte er die Höhle vor allen Blicken verschlossen, und wenn er hier vor der Eingangsspalte auf einem der großen Verschlußsteine saß und in seinen Block die Entwürfe zeichnete, war es ihm, als durchränne ihn eine andere Kraft, deren Wurzel ihm nicht erkennbar war. Hier vor der Höhle hatte er gesessen, als er zum erstenmal in einem Album die Werke der Großen sah, und er war erschüttert von dieser Kunst und doch im Innern angerufen, es ihnen gleichzutun. Hier in dieser Höhle war er in zwei Jahren gewachsen und gereift, hatte er den spröden Stein besiegt und das Ungelenke seiner ungeschulten Begabung abgelegt in der täglichen sauren Mühe, an sich selbst zu formen und zu lernen am Vorbild der Künstler, deren Namen er damals zum erstenmal hörte und deren Werke ihm seit diesem Tage nicht mehr aus dem Gedächtnis kamen.
    Er sah das Mädchen an seiner Seite groß an, als wolle er abschätzen, ob sie es wert war, sein großes Geheimnis zu sehen. Dann nickte er schnell.
    »Ich werde Ihnen den Hasen zeigen«, sagte er. »Dann müssen wir uns aber wiedersehen …«
    »Wenn es Vater nicht erfährt, geht es bestimmt.«
    »Und wenn Ihr Vater es erfährt?«
    »Dann wird er mich schlagen.« Das Mädchen zuckte mit den Schultern. Aber Juan hob entsetzt die Hand und ließ vor Schreck den geflochtenen Kranz fallen.
    »Nein!« rief er. »Man soll Sie nicht schlagen meinetwegen! Ich dulde es nicht!« Durch seinen Körper lief ein Zittern der Erregung. Das Mädchen schaute ihn groß an. Seine Härte in diesem Augenblick, sein flammender Blick, seine Stimme ließen sie zusammenfahren. Sie hob die Hand und legte sie Juan auf die Schulter.
    »Er wird mich nicht schlagen. Er hat mich bisher nur einmal geschlagen, und da war ich ein kleines Kind.« Sie sah ihn mit bittenden Augen an. »Ich habe das doch bloß so gesagt, das mit dem Schlagen …«
    Juan hob den Kranz auf und drehte ihn wieder um seine Finger. Seine Erregung flatterte noch durch den Körper. Er drückte die Hand auf die Brust und fühlte sein Herz schlagen. Es schlug unter dem Skizzenblock, der wie ein Panzer über ihm lag.
    »Ich werde Ihnen noch mehr zeigen als einen Hasen aus Stein. Ich habe einen Kopf gehauen – den Kopf meiner Mutter. Und ein Lamm habe ich auch und einen Adler, den ich beobachtete, wie er auf der Erde saß und eine Maus zerriß.«
    »Wie schrecklich!« Das Mädchen Granja blieb stehen. »Und Sie haben den Adler nicht verjagt?«
    »Nein, warum denn?«
    »Weil er die Maus zerriß.«
    »Es war sein Mahl.«
    »Aber er hat doch die Maus getötet! Er ist ein Mörder!«
    Juans Lippen waren schmal. »Wir essen doch auch Fleisch von getöteten Kühen und Lämmern. Dann sind wir alle Mörder.«
    Da schwieg das Mädchen Granja. Juan aber ging weiter, und er freute sich, daß sie nachkam und sich beeilte, an seine Seite zu kommen. »Es war schön, ihm zuzusehen«, sagte er. »Er saß da in seiner ganzen unberührten Majestät, der spitze Schnabel leuchtete gelb in der Sonne,
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