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Viele Mütter heißen Anita

Viele Mütter heißen Anita

Titel: Viele Mütter heißen Anita
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Sünde, die Augen zu erheben, wenn er die Unwahrheit sagte. »Ich war bei den Kühen und bin eben erst gekommen. Sie wird einen anderen Weg genommen haben.«
    »Sicherlich.« Ricardo Granja rollte die Stricke zusammen und gab sie Juan. »Und sage deinem Bruder, daß ich auf den Karren warte. Ich habe Concha nicht umsonst geschickt.«
    Der Kopf Juans zuckte empor. »Concha?« fragte er leise.
    Granja nickte unwillig. »Meine Tochter …«
    »Ach so. Leben Sie wohl …«
    Er verließ den Laden und stand benommen auf der Straße in der Sonne. Er fühlte die Hitze nicht mehr, er sah nicht den Staub.
    Sie heißt Concha, dachte er. Concha Granja.
    Das ist wie ein Lied … wie eine nächtliche Melodie. Concha Granja – so könnte ein Gemälde heißen, eine Skulptur, ein unsterbliches Werk.
    Ob sie wirklich in seine Höhle kam und den steinernen Hasen und den Adler mit den roten Augen betrachtete? Concha zu dem armen, schmutzigen Bauern, dem Hungerleider aus der Santa Madrona?
    Juan sah den Heiligen auf dem Brunnen an, als müsse es dieser wissen. Ein Heiliger muß es wissen, dachte er.
    Aber der Heilige schwieg und verstaubte.
    Er war grau wie das ganze Land.
    Ein Punkt unter dem Himmel, so ging Juan in die Berge zurück.
    Er ging langsam, denn er hatte Zeit, so viel, viel Zeit. Und er dachte an Concha und ging langsam, um lange in ihrer Nähe zu sein. Er ging die Straße und die Wege zurück, die sie gemeinsam gewandert waren, und er blieb stehen, wo sie stehengeblieben war, und sah im Staub noch schwach den Abdruck ihrer Schuhe, und er war glücklich, als er sich niederbeugte in den Staub und mit dem Finger die Form ihres Fußes nachziehen konnte.
    Dann war er in den Bergen, und die heiße, zwischen den Felsen gestaute Luft legte sich auf seine Brust. Er atmete schwer und blieb stehen, lehnte sich an einen Vorsprung und faßte an sein Herz. Es zuckte und drückte in der Brust, daß er den Zeichenblock aus dem Hemd nahm und in die Tasche steckte. Aber es wurde nicht besser, der Atem war schwer.
    Ich liebe sie, dachte er. Und mein Herz hält es nicht aus. Das nie gefragte, selten glückliche Herz des Bauern Juan. Und er ging weiter, langsam, mühsam, sich mehr schleppend, und dachte mit Zittern an die Stunde, in der Concha in seiner geheimnisvollen Höhle stand …
    Auf dem Hof der Torricos war alles, wie es seit Jahren und Jahrzehnten war. Anita, die Mutter, kochte und putzte das Haus und ruhte sich ab und zu auf einem Schemel aus, weil das Wasser in ihren Beinen sie nicht lange stehen ließ. Sie fegte mit einem Reisigbesen die Steinstufe vor der Tür und kochte aus Milch, Mehl und Apfelsinensaft einen Pudding, den sie in eine große Schüssel schüttete. Es war ein kärgliches Mahl, zu dem sich jeder eine Scheibe weißes Brot abschnitt und trocken aß. Aber wenn der Himmel seit Wochen nur die Sonnenstrahlen zur Erde schickte und das Hochland kochte, wenn der kleine, tiefe Brunnen nur schlammiges Wasser gab und die Felder und die Schafe und die Kühe und alles, was ein Bauer hatte, wie verbrannt aussah, dann standen auf dem Tisch nicht schöne Sachen, sondern nur das Nötigste, um in den Körpern Kraft zu halten, den Winter zu erwarten. Den Winter, wo es Schnee und Wasser gab, das man in großen Tonnen sammelte, bis wieder die Sonne über den Bergen stand, und der Bauer der Sierra Morena die Fäuste ballte und doch den Kopf senkte vor dem Willen Gottes.
    Anita kannte dieses Leben. Sie fragte nicht mehr, und sie klagte nicht … sie ging in wundervoller Stille den Weg aller Bäuerinnen Castillas und lebte die Tage in der Bescheidenheit ihres Schicksals. Sie putzte und kochte, sie versorgte das Kleinvieh, wenn Pedro und Elvira in den Gärten waren, sie kochte das kärgliche Essen und legte sich dann auf die Küchenbank, müde und schwer, und sie seufzte wohl auch einmal, wenn sie an Juan dachte, der die Kühe hütete oder in einer Ecke saß und zeichnete. Es war schön, was er mit einem Bleistiftstumpf auf das Papier malte, und Anita hatte es oft betrachtet und gesagt: »Wenn du doch ein so guter Bauer wärst wie ein guter Maler, Juan.«
    Einmal im Monat kam aus Mestanza der alte Landarzt, der Dr. Osura, auf den Hof und untersuchte Anita. »Mein hübsches Mädchen«, sagte er immer, »jetzt wollen wir deine Beine wieder schlank wie die eines Rehes machen.« Und er zapfte ihr das Wasser ab, daß sie für einige Zeit Ruhe hatte. Ja, er war sehr lustig, der Dr. Osura, und er behandelte Juan auch wie einen erwachsenen Mann,
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