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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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Die beiden Dichter
    In der Zeit, in der diese Geschichte spielt, waren die Stanhopepresse und die Walzen zur Verteilung der Druckerschwärze in den kleinen Provinzdruckereien noch nicht zur Anwendung gelangt. Trotz der Spezialität, die Angoulême zum Pariser Druckereigewerbe in Beziehungen bringt, bediente man sich dort immer noch der Holzpressen. Die rückständige Druckerei verwendete dort noch die Lederbälle, die mit der Druckerschwärze bestrichen waren und mit denen einer der Drucker leicht über die Lettern fuhr. Die bewegliche Platte, auf der die Form mit den Lettern sich befindet, worauf der Papierbogen gelegt wird, war noch aus Stein und rechtfertigte somit ihre Bezeichnung. Die gefräßigen mechanischen Pressen haben heutzutage diesen Apparat, dem wir trotz seiner Unvollkommenheiten die schönen Bücher der Elzevier, Plantin, Alde und Didot verdanken, so sehr in Vergessenheit gebracht, daß es angezeigt ist, die alten Werkzeuge, für die Jérôme Nicolas Séchard eine abergläubische Zuneigung hegte, zu erwähnen, denn sie spielen ihre Rolle in dieser wichtigen kleinen Erzählung.
    Dieser Séchard war ein früherer Drucker, den die mit dem Satz beschäftigten Handwerker in ihrem Jargon einen ›Bären‹ nannten. Das Hin und Her der Bewegung, wie die Drucker vom Farbenbehälter zur Presse und von der Presse zum Farbenbehälter gehen, hat einige Ähnlichkeit mit dem Auf und Ab eines Bären im Zwinger, und so ist offenbar der Spitzname entstanden. Zur Vergeltung gaben die Bären den Setzern den Beinamen ›Affen‹ infolge der fortgesetzten kleinen Bewegungen, die diese Herren machen, um die Lettern den hundertzweiundfünfzig kleinen Fächern, in denen sie enthalten sind, zu entnehmen. In dem unheilvollen Jahr 1793 war Séchard ungefähr fünfzig Jahre alt und verheiratet. Sein Alter und seine Verheiratung befreiten ihn von dem großen Truppenaufgebot, das fast alle Handwerker in die Armeen schleppte. Der alte Drucker blieb allein in der Druckerei zurück, deren Besitzer – alias ›Pinsel‹ – soeben gestorben war und eine kinderlose Witwe zurückgelassen hatte. Das Geschäft schien dem Untergang geweiht: der allein zurückgebliebene Bär war nicht imstande, sich in einen Affen zu verwandeln; denn als Drucker konnte er weder lesen noch schreiben. Ohne sich über seine Unfähigkeit Kopfschmerzen zu machen, versorgte ein Volksvertreter, der es eilig hatte, die schönen Dekrete des Konvents zu verbreiten, den Drucker mit dem Patent eines Buchdruckermeisters und versah seine Druckerei mit Aufträgen. Nachdem der Bürger Séchard dieses gefährliche Patent erhalten hatte, entschädigte er die Witwe seines Meisters, indem er ihr die Ersparnisse seiner Frau brachte, mit denen er das Material der Druckerei zur Hälfte des Wertes bezahlte. Aber das genügte nicht. Die Dekrete der Republik mußten unverzüglich gedruckt werden. In dieser schwierigen Lage hatte Jérôme Nicolas Séchard das Glück, einen Edelmann aus Marseille zu treffen, der nicht auswandern wollte, um seiner Ländereien nicht verlustig zu gehen, und nicht gesehen werden wollte, um seinen Kopf zu behalten, und der nur durch irgendwelche Arbeit Brot finden konnte. Der Graf von Maucombe zog also das schlichte Wams eines Provinzfaktors an; er setzte, las und korrigierte selbst die Dekrete, die den Bürgern, die Adlige bei sich verbargen, die Todesstrafe androhten; der Bär, der jetzt ein Pinsel geworden war, zog sie ab und ließ sie anschlagen; und alle beide blieben heil und gesund dabei. Als im Jahre 1795 der Sturmwind des Schreckens vorübergezogen war, war Nicolas Séchard genötigt, ein anderes Faktotum zu suchen, das zugleich Setzer, Korrektor und Faktor sein konnte. Ein Abbé, der später unter der Restauration Bischof wurde und der damals zu den Eidverweigerern gehörte, trat an die Stelle des Grafen von Maucombe und blieb bis zu dem Tag, wo der erste Konsul die katholische Religion wiederherstellte. Der Graf und der Bischof trafen sich später auf ein und derselben Bank der Pairskammer. Jérôme Nicolas Séchard konnte zwar im Jahre 1802 ebensowenig lesen und schreiben wie 1793, aber er hatte genügend auf die hohe Kante gelegt, um sich einen Faktor leisten zu können. Aus dem Gesellen, der sich früher so wenig um die Zukunft gekümmert hatte, war ein Meister geworden, vor dem seine Affen und Bären gewaltigen Respekt hatten. Der Geiz beginnt, wo die Armut aufhört. An dem Tag, wo der Drucker die Möglichkeit vor sich sah, ein vermögender
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