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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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anlegen.
    »Was hast du mit deinem Wochenlohn gemacht?« fragte er ihn und versuchte damit nochmals die Frage zu erhellen, die das Schweigen seines Sohnes am Tage vorher unentschieden gelassen hatte. »Aber habe ich nicht leben müssen? Habe ich nicht Bücher gekauft?« antwortete David ärgerlich. »Ah, du hast Bücher gekauft! Du wirst schlechte Geschäfte machen. Leute, die Bücher kaufen, sind kaum geeignet, sie zu drucken«, antwortete der Bär.
    David stand die schrecklichste aller Demütigungen aus, er mußte die niedrige Gesinnung seines Vaters über sich ergehen lassen. Er mußte die Flut gemeiner, weinerlicher, listiger Gründe bestehen, mit denen der alte Geizhals seine Weigerung motivierte. Er drängte seinen Schmerz in seine Seele zurück, er sah sich allein, ohne Hilfe, denn er fand in seinem Vater einen Spekulanten, den er aus philosophischer Neugier bis zum Grunde kennen lernen wollte. Er ließ die Bemerkung fallen, er habe niemals Rechnungslegung über das Vermögen seiner Mutter verlangt. Wenn dieses Vermögen nicht ausreichte, um den Preis der Druckerei zu erlegen, müßte es doch mindestens als Betriebskapital dienen können.
    »Das Vermögen deiner Mutter?« sagte der alte Séchard, »aber das war weiter nichts als ihre Klugheit und ihre Schönheit.«
    Bei dieser Antwort durchschaute David seinen Vater völlig und sah ein, daß er, wenn er eine Rechnungslegung erhalten wollte, gegen ihn einen unendlichen, kostspieligen und entehrenden Prozeß würde anstrengen müssen. Der vornehme Jüngling nahm die Last auf sich, obwohl er wußte, wie sie ihn drücken mußte und wie schwer es sein würde, den Verpflichtungen gegen seinen Vater nachzukommen.
    »Ich werde arbeiten«, sagte er sich. »Schließlich, wenn ich zu schuften habe, dem Alten ist es nicht besser gegangen, und überdies werde ich für mich arbeiten.«
    »Ich hinterlasse dir einen Schatz«, sagte der Vater, den das Schweigen seines Sohnes beunruhigte.
    David fragte, was das für ein Schatz sei.
    »Marion«, sagte der Vater.
    Marion war ein plumpes Bauernmädchen, das in der Druckerei unentbehrlich war; sie netzte und beschnitt das Papier, besorgte Bestellungen und die Küche, sorgte für die Wäsche, lud das Papier von den Wagen ab, zog Geld ein und reinigte die Tupfballen. Wenn Marion hätte lesen können, hätte sie der alte Sichard an den Setzkasten gestellt.
    Der Vater begab sich zu Fuß auf sein Landgut zurück. Obgleich er über seinen Verkauf, der sich unter dem Namen Beteiligung versteckte, sehr glücklich war, beunruhigte es ihn jetzt doch, nach welchem Modus er bezahlt werden würde. Nach den Erregungen des Verkaufs kommen immer die wegen der Bezahlung. Alle Leidenschaften sind in ihrem Kern jesuitisch. Dieser Mann, der die Erziehung für etwas Unnützes ansah, bemühte sich jetzt, an den Einfluß der Erziehung zu glauben. Er stellte seine dreißigtausend Franken mit den Ehrbegriffen sicher, die die Erziehung in seinem Sohne ausgebildet haben mußte. Als wohlerzogener junger Mann würde David Blut schwitzen, um seinen Verpflichtungen nachzukommen, seine Kenntnisse würden ihm Quellen erschließen, er hatte ein schönes Empfinden gezeigt, er würde zahlen! Viele Väter, die so verfahren, glauben väterlich verfahren zu sein, und diese Überzeugung hatte schließlich der alte Séchard erlangt, als er wieder in seinem Weingut anlangte. Es war in Marsac gelegen, einem kleinen Dorf, das vier Meilen von Angoulême entfernt war. Dieses Landgut, auf dem der frühere Besitzer ein hübsches Wohnhaus erbaut hatte, hatte sich seit 1809, zu welcher Zeit der alte Bär es an sich gebracht, von Jahr zu Jahr vergrößert. Er vertauschte dort die Sorgen der Presse gegen die der Kelter, und er war, wie er gern sagte, seit zu langer Zeit Weinkenner, um sich nicht darauf zu verstehen. Während des ersten Jahres seiner ländlichen Zurückgezogenheit bot Vater Séchard eine sorgenvolle Miene zwischen seinen Weinstöcken; denn er war immer auf seinem Weinberg, wie er früher in seiner Werkstatt gewohnt hatte. Diese unerhofften dreißigtausend Franken berauschten ihn noch mehr als der junge Septembersaft. Er hatte sie in Gedanken schon zwischen den Fingern. Je weniger er die Summe erwarten konnte, um so mehr wünschte er sie einzustreichen. Daher zog ihn seine Ungeduld oft von Marsac nach Angoulême. Er kletterte die Felsenabhänge hinauf, auf deren Höhe die Stadt liegt, und begab sich in die Druckerei, um zu sehen, ob sein Sohn mit dem Geschäft fertig
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