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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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dem Schicksal, das sein Name, der Trockene, ihm bestimmt hatte, war mit einem unauslöschlichen Durst begnadet. Seine Frau hatte seine Leidenschaft für den Saft der Traube, die übrigens den Bären so natürlich ist, daß Chateaubriand sie bei den richtigen Bären Amerikas beobachtet hat, lange Zeit hindurch in den gehörigen Schranken gehalten; aber die Philosophen haben die Bemerkung gemacht, daß die Gewohnheiten der Jugend im Greisenalter mit großer Stärke wiederkehren. Séchard war eine Bestätigung für dieses psychische Gesetz: je älter er wurde, um so mehr liebte er das Trinken. Seine Leidenschaft hinterließ auf seinem Bärengesicht Spuren, die es höchst originell machten: seine Nase hatte den Umfang und die Form eines großen A von riesigen Dimensionen, seine beiden mit unzähligen Aderchen durchzogenen Backen sahen aus wie manche Weinblätter, die voller violetter, purpurner und oft buntgesprenkelter kleiner Buckel sitzen; man konnte an eine ungeheure Trüffel denken, die mit herbstlichem Weinlaub umrankt war. Unter zwei mächtigen Brauen, die wie zwei schneebedeckte Büsche aussahen, hatten seine beiden grauen Augen, in denen die Schlauheit einer Habgier funkelte, die alles, selbst die Vaterliebe in ihm ertötet hatte, ihren Glanz noch in der Trunkenheit bewahrt. Sein kahler Schädel, der noch von grauen, lockigen Haaren umrahmt war, erinnerte an die Franziskanermönche aus den Erzählungen Lafontaines. Er war untersetzt und beleibt, wie es bei diesen alten Lampen, die mehr Öl als Docht verbrauchen, oft der Fall ist; denn die Ausschweifungen in irgendeiner Sache treiben den Körper in die Richtung, die ihm gemäß ist. Die Trunksucht macht ebenso wie das Studieren den Dicken noch dicker und den Magern magerer. Jérôme Nicolas Séchard trug seit dreißig Jahren den bekannten Dreispitz, der sich noch heutzutage in den Städten mancher Provinzen auf dem Kopf des städtischen Tambourmajors findet. Seine Weste und seine Hose waren aus grünlichem Tuch, überdies trug er einen alten braunen Überzieher, buntgewebte baumwollene Strümpfe und Schuhe mit silbernen Schnallen. Diese Tracht, in der der Handwerksmann noch im reichgewordenen Bürger zu erkennen war, entsprach seinen Lastern und Gewohnheiten so gut, war so sehr der Ausdruck seines Lebens, daß es schien, als ob dieser Wackere völlig angekleidet erzeugt worden wäre; man hatte ihn sich ebensowenig ohne seine Kleidungsstücke vorstellen können, wie eine Zwiebel ohne die Häute. Wenn der alte Drucker nicht schon längst wegen seiner blinden Habgier bekannt gewesen wäre, hätte die Art, wie er sein Geschäft übergab, genügt, ihn zu kennzeichnen. Trotz der Kenntnisse, die sein Sohn von der hohen Schule des Didot mitbringen mußte, nahm er sich vor, das gute Geschäft mit ihm zu machen, das er schon lange hin und her überlegt hatte. Freilich, wenn der Vater ein gutes Geschäft machte, war es unausbleiblich, daß der Sohn ein schlechtes machte. Aber für den Wackern gab es in Geschäften nicht Sohn und nicht Vater. Hatte er zuerst in David sein einziges Kind gesehen, so erblickte er später in ihm nur noch den gegebenen Käufer, dessen Interessen seinen entgegengesetzt sein mußten: er wollte teuer verkaufen, David mußte billig kaufen; sein Sohn war also ein Feind geworden, den es zu besiegen galt. Diese Umwandlung des zärtlichen Gefühls in persönliches Interesse, die bei wohlerzogenen Leuten gewöhnlich langsam, versteckt und heuchlerisch vor sich geht, war bei dem Alten schnell und unverhohlen, und der Bär zeigte, um wieviel stärker die schlaue Saufographie war als die kunstgerechte Typographie. Als sein Sohn anlangte, benahm sich der Ehrenmann ihm gegenüber mit der geschäftlichen Zärtlichkeit, die die Gewandten für ihre Opfer haben: er ging mit ihm um wie ein Liebhaber mit seiner Geliebten; er gab ihm den Arm, er sagte ihm, wo er die Füße hinsetzen mußte, um sich nicht mit Schmutz zu bespritzen, er hatte ihm sein Bett wärmen, Feuer anmachen und ein gutes Abendbrot richten lassen. Nachdem er am andern Tag versucht hatte, seinen Sohn während eines üppigen Mahles betrunken zu machen, sagte Jérôme Nicolas Séchard, der stark bezecht war, zu ihm: »Nun zum Geschäft!« Und das war so kurios zwischen zwei Rülpsgeräuschen eingeschoben, daß David ihn bat, das Geschäft bis morgen zu lassen. Der alte Bär verstand es aber zu gut, aus seiner Betrunkenheit Vorteil zu ziehen, als daß er eine so lange vorbereitete Schlacht aufgegeben
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