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Versunkene Inseln

Versunkene Inseln

Titel: Versunkene Inseln
Autoren: Marta Randall
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ge­tauch­ten Sims, voll­kom­men al­lein und ver­las­sen, der ein­zi­ge an­de­re Mensch, der wie ich ge­we­sen war, tot auf­grund mei­ner arg­lis­ti­gen Über­le­gen­heit, mei­nes in Pa­nik ver­setz­ten Stol­zes. Ich hat­te To­bi­as um­ge­bracht. Und ich be­saß kei­ne Waf­fe, die ich nun vol­ler Ekel fort­schleu­dern konn­te, denn ich selbst hat­te es ge­tan. Ich ganz al­lein.
    „Bit­te“, fleh­te ich die Ge­schwo­re­nen an, die mich nicht frei­spre­chen konn­ten, und lang­sam glomm Ent­set­zen in ih­ren Au­gen auf. Ich trat einen Schritt auf sie zu, und sie wi­chen vor mir zu­rück und scharr­ten mit den Fü­ßen. Noch im­mer starr­ten sie mich an und sa­hen die frisch in mein Ge­sicht ein­ge­brann­te Schuld. Schwei­gend schrit­ten wir über den Sims, dann die von Son­nen­schein über­flu­te­te Wen­del­trep­pe hin­ab. Wir wa­ren an­ein­an­der ge­fes­selt: Ich konn­te mich nicht wei­ter von ih­nen ent­fer­nen, und sie ver­moch­ten mir nicht nä­her zu kom­men. Hin­un­ter, wei­ter hin­un­ter … und über uns, auf der Kro­ne der Ili­um, blie­ben Jen­ny und ihr to­ter Lieb­ha­ber zu­rück. Wie vie­le Men­schen hat­te ich dort oben ge­tö­tet?
    Sie dräng­ten sich auf dem Mo­sa­ik­deck zu­sam­men und be­weg­ten sich als ei­ne Ein­heit von mir fort, als ich auf die Au­ßen­re­ling des Schif­fes und das Meer dar­un­ter zu­ging. Die Un­s­terb­li­chen stan­den nun dicht bei­ein­an­der am Hüp­fer, und hoch oben sah ich die schlan­ke, ge­gen­über dem Blau des Him­mels scharf ab­ge­grenz­te Kon­tur von Jen­nys Kör­per. In der um­fas­sen­den, gren­zen­los schei­nen­den Stil­le schwang die Tür in mei­nem Geist auf.
    „Es tut mir leid“, flüs­ter­te ich und trans­fe­rier­te hin­ab.
     

50
     
    Stun­den ver­gin­gen, Ta­ge viel­leicht. Um mich her­um summ­te der Raum. Wär­me tropf­te von den Wän­den, fri­sche Luft zir­ku­lier­te, und die Le­bens­mit­tel la­gen un­an­ge­tas­tet an den Wän­den der Vor­kam­mer. Ich hock­te am Ein­gang zu Mit­su­ya­gas Kö­nig­reich und konn­te mich nicht rüh­ren.
    „Mut­ter“, hat­te er ge­sagt. Und war ge­stor­ben. Er war nicht mein Sohn. Ich hat­te kei­ne Kin­der, konn­te kei­ne Kin­der be­kom­men. „Er war ge­nau­so sterb­lich wie Sie.“ Wie ich? Hat­te er auch so dar­un­ter ge­lit­ten? Mei­ne Ge­dan­ken wir­bel­ten im Kreis, und ich war nicht in der La­ge, aus die­sem düs­te­ren Stru­del aus­zu­bre­chen und an die Ge­sta­de der Kon­zen­tra­ti­on zu­rück­zu­keh­ren; die ein­zel­nen Sze­nen­bil­der und Er­in­ne­rungs­fet­zen ent­zo­gen sich mei­ner Kon­trol­le. „Mut­ter“, sag­te er, nach­dem ich ihm be­reits den Tod ein­ge­pflanzt hat­te. Ich? Ich ganz al­lein?
    Als ich To­bi­as zum ers­ten­mal be­geg­ne­te (ich saß in der Tauch­kam­mer und flick­te einen Gum­mischlauch, als Gre­ville durch den Zu­gangs­schacht her­ab­schweb­te, ge­folgt von gol­de­ner Per­fek­ti­on; man ist fas­zi­niert von der Schön­heit und dem Frem­den, ei­ne Fas­zi­na­ti­on, die sich nicht auf Lie­be oder Haß grün­det, son­dern al­lein auf die Prä­senz selbst, wie Ma­gnet und Ei­sen­spä­ne – man kann sei­nen Blick nicht mehr ab­wen­den), er­schrak er, wur­de blaß, riß die Au­gen auf und ball­te die Fäus­te. Und ich such­te Trost in mei­nem Sar­kas­mus und sag­te mir, es sei die ty­pi­sche Re­ak­ti­on, nur eben stär­ker. Aber – ge­nau­so sterb­lich wie ich? To­bi­as? Ist er da­mals aus die­sem Grund wie er­starrt ste­hen­ge­blie­ben, von mei­nem Schick­sal in glei­chem Aus­maß fas­zi­niert wie ich be­schämt von sei­ner Schön­heit? Nein, die­ser gol­de­ne Jun­ge war nicht mein Sohn.
    Hat er sei­ne Zu­kunft in mir ge­se­hen? Hat er das da­mit ge­meint? Warum war er so vol­ler Haß?
    Ein wei­nen­des Kind im Gras­land Süd­afri­kas, ein Kind, das wie be­nom­men und er­schro­cken die Stra­ßen von ei­nem Dut­zend Städ­te durch­wan­dert, von Pla­net zu Pla­net flieht und in sei­nen Spie­gel­bil­dern nach den fal­ti­gen und runz­li­gen Brand­ma­len des Al­terns sucht. To­bi­as? Aber ich war nie so schön wie er. Und er war nicht mein Kind.
    Ich hat­te ihn nie nach sei­nem Al­ter ge­fragt, ich hat­te es nie
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