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PR 2636 – Das Schema des Universums

PR 2636 – Das Schema des Universums

Titel: PR 2636 – Das Schema des Universums
Autoren: Christian Montillon
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1.
    Cawo-Shumgaard
     
    Individualität ist etwas Wunderbares.
    Ich hielt diese Behauptung für simpel und bestechend logisch. Meiner Meinung nach konnte man ihr nicht widersprechen. Darum hatte ich sie auch zum Leitfaden für mein Leben erhoben; allerdings im Geheimen, denn kaum jemand stimmte mir in dieser Hinsicht zu.
    Die meisten konzentrierten sich zu sehr auf ihre Gruppen, auf den Austausch von Gedanken und Wissen in der Vernetzung der Gehirne. Individualität stellte für sie eine Nebensache dar, auch wenn sie bisweilen anderes behaupteten.
    Jeder wusste und akzeptierte, dass sich ein Badakk nur in seiner aktiven Siebenergruppe richtig wohlfühlte.
    Jeder, außer mir. Ich glich ihnen in dieser Hinsicht nicht. Ob ich mich von Geburt an von einem normalen Badakk unterschied, war mir nicht klar, und ich würde es wohl auch niemals herausfinden.
    Es spielte auch keine Rolle, denn nicht die Vergangenheit bedeutete etwas, sondern die Gegenwart. Nur diese vermochte die Zukunft zu verändern und mich meinem großen Ziel näher zu bringen.
    Eines Tages würde ich wahre Individualität finden, indem ich das Schema erkannte, aus dem das Universum besteht. Den Rhythmus, in dem Galaxien, Sonnensysteme und jedes einzelne Atom ständig pulsierten. In diesem Moment würde ich alles verstehen, endlich begreifen, was das Leben und die schiere Tatsache der Existenz bedeutete.
    Dafür war ich geschaffen worden, darum lebte ich.
    Aber noch war es nicht so weit. Ein Alarm lenkte mich ab: elender Alltag, wenn man in den Diensten von QIN SHI stand.
     
    *
     
    Ich schlürfe ein letztes Mal an meinem mobilen Nahrungsspeicher. Obwohl ich es mir selbst nicht gern eingestand, schmeckte es ohnehin nicht so gut wie in meiner Gruppe beim gemeinsamen Essen. Darum gab es Schlimmeres, als diese Mahlzeit nicht beenden zu können.
    »Cawo-Shumgaard!«
    Das war Ledrut-Strywen, der in diesem verlassenen Sonnensystem – wie hieß es doch gleich? – den Oberbefehl über die drei stationierten Schiffe hatte. Routinearbeiten waren alles, was die Mannschaften beschäftigte, und so streifte er durch das gesamte Artefakt, tauchte an den unmöglichsten Stellen auf und mischte sich überall ein.
    Sogar meinen persönlichen Container suchte er nun auf, jenen Quader aus nackten Metallwänden, der meinen einzigen Rückzugsort bildete. Das winzige bisschen Privatsphäre mitten in der Fremde, in einer viele Jahrmillionen alten Hinterlassenschaft, die wir nicht verstanden.
    Gewiss, nach außen achtete Ledrut-Strywen meine Autorität als wissenschaftlicher und technischer Leiter dieser Mission. Wer ihn kannte, sah ihm jedoch an, welche Mühe es ihn kostete, nicht das Kommando an sich zu reißen, wie er es von seinem Alltag in den Schiffen gewohnt war.
    »Cawo-Shumgaard!«, rief er ein weiteres Mal. Er stand offenbar direkt vor der verschlossenen Einstiegsluke, die ich vorsorglich so programmiert hatte, dass sie einzig auf meine Annäherung reagierte. Jeder andere musste sie mit Gewalt öffnen.
    Ich stellte den Nahrungsspeicher in das kleine Wandregal und zog den Halte-Arm in meinen Zylinderkörper zurück. Danach wandte ich mich um und öffnete mit einem Sprachbefehl. Die Luke zischte in die Höhe.
    »Ich höre den Alarm auch ohne deinen Hinweis«, wies ich ihn zurecht, »und ich weiß, was ich zu tun habe. Da keine hohe Dringlichkeitsstufe angemahnt wird, bilden einige Sekunden Zeitverlust kein Problem.«
    Ledrut-Strywens weißliche Lederhaut blieb unbewegt, selbst die sattlila Färbung der Oberbegrenzung veränderte sich nicht. Er hatte sich gut in der Gewalt. Lediglich eines der Augen pendelte leicht auf dem Sehstiel, ein kaum merkliches Zeichen der Unsicherheit.
    »Sehr wohl«, brachte er eine Standardaussage zu Gehör, »du folgst der Logik.«
    »Wie es der Situation gebührt«, antwortete ich auf einem ebenfalls allgemein gehaltenen, routiniert-distanzierten Niveau.
    Doch nun genug der Floskeln!
    Ich wollte mich endlich um die Ursache des Alarms kümmern. In diesem riesigen bernsteinfarbenen Artefakt war schließlich alles möglich, und wer wusste schon, ob es nicht doch eine ernsthafte, das Leben sämtlicher Badakk in dieser Station bedrohende Gefahr gab.
    Einer spontanen Eingebung folgend verlangte ich von Ledrut-Strywen einen Lagebericht. Ebenso gut hätte ich diesen über einen unserer Datenspeicher abfragen können, aber so degradierte ich mein Gegenüber zu einem schlichten Informationslieferanten: gut, um die Grenzen abzustecken und ihn in die
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