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Versunkene Inseln

Versunkene Inseln

Titel: Versunkene Inseln
Autoren: Marta Randall
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Wei­se ge­quält von der Er­in­ne­rung an ih­ren ehe­ma­li­gen Ge­lieb­ten, der nun im Bett des Gäs­te­zim­mers lag und die Wär­me sei­ner neues­ten Da­me ge­noß. Soll es ein Ge­heim­nis sein zwi­schen mir und dem Fens­ter. Und der Son­ne aus hei­ßer Pein tief in mei­nem Rücken. Psch.
     

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    Vor fünf­zig Jah­ren, als ich sieb­zehn und er sie­ben­und­zwan­zig war, ha­ben wir uns ge­liebt. Er war un­be­küm­mert in sei­ner Ju­gend und sah so aus wie jetzt: grau­grü­ne Au­gen, die abends einen nuß­far­be­nen Schim­mer an­nah­men; ein Ge­sicht mit scharf ge­schnit­te­nen Zü­gen, um­rahmt von gol­de­nem und brau­nem Haar; ei­ne zar­te Sta­tur, schmal in den Schul­tern und Hüf­ten; an­mu­tig in sei­nen Be­we­gun­gen, ge­wandt mit sei­nen Wor­ten. Ein ge­fäl­li­ger, an­zie­hen­der Kör­per. Und er hat­te sich da­ge­gen ent­schie­den, ihn ver­än­dern zu las­sen.
    Und ich? Schon als jun­ges Mäd­chen der Schat­ten ei­nes Mon­s­trums? Rund­lich und fest, ei­ne dich­te, kas­ta­ni­en­brau­ne Haar­mäh­ne, die weich zu den Schul­tern hin­ab­fiel und zu ei­nem glat­ten Ge­sicht mit brau­nen Au­gen kon­tras­tier­te; einen Me­ter sech­zig groß, fast so groß wie Paul. Das Kind in mei­ner Er­in­ne­rung war in den Fes­seln sei­nes We­sens ge­nau­so sprü­hend und gisch­tend und wo­gend wie das Meer. Ich schweb­te im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes am Ran­de der Ewig­keit, als ich dar­auf war­te­te, daß sich mein Kör­per so­weit sta­bi­li­sier­te, um den Im­mor­ta­li­täts­be­hand­lun­gen un­ter­zo­gen zu wer­den. Und wäh­rend­des­sen er­freu­te sich Paul noch an der Neu­heit sei­ner ei­ge­nen Un­s­terb­lich­keit.
    Als die Zeit ge­kom­men war, wan­der­ten wir sin­gend zur Kli­nik, und Paul ließ mich ei­ne Wo­che lang dort. Sie bom­bar­dier­ten Kör­per und Hirn mit Che­mi­ka­li­en, Strah­lun­gen und Le­ben und ver­such­ten, die Sterb­lich­keit aus mei­nen Zel­len zu til­gen – mit Me­tho­den, die da­mals große Mys­te­ri­en für mich dar­stell­ten und die ich seit­dem bis zur Ver­zweif­lung stu­diert ha­be. Ver­ge­bens. Paul war­te­te auf mich, als ich die Kli­nik ver­ließ. Wir toll­ten im Hi­ma­la­ja her­um, be­trach­te­ten den Son­nen­un­ter­gang über den Rocky Moun­tains und den Mond­auf­gang über den Py­re­nä­en. Wir ver­brach­ten gan­ze Epo­chen der Ent­zückung in der ma­ri­ti­men Stadt Ve­ne­dig. Ein Jahr spä­ter kehr­te ich für die rest­li­chen Be­hand­lun­gen in die Kli­nik zu­rück, und sie be­hiel­ten mich dort und tes­te­ten und tes­te­ten und sag­ten mir schließ­lich, es ha­be nicht funk­tio­niert.
    Über­haupt nicht.
    Sie wer­den ei­ne lan­ge Zeit le­ben, ja, da­für sor­gen wir. Aber nicht ewig, nein, es tut uns furcht­bar leid. Wis­sen Sie, Sie sind ein­zig­ar­tig. Hun­dert Jah­re viel­leicht. Mög­li­cher­wei­se auch hun­dert­fünf­zig. Wir be­dau­ern das sehr.
    Viel­leicht zwei­hun­dert. Es ist gar nicht so übel, zwei­hun­dert Jah­re zu le­ben. Es wird Ih­nen sehr gut­ge­hen, wis­sen Sie. Da­für sor­gen wir. Wir be­zah­len Sie da­für. Wir brau­chen Sie. Ge­nau­so wie Sie uns brau­chen.
    Es wird Ih­nen sehr gut­ge­hen.
    Aber die ewi­ge Ju­gend ist Ih­nen ver­wehrt.
    Wirk­lich be­dau­er­lich.
     
    Und so ging ich nach ei­ner Wei­le als Sterb­li­che fort, leb­te auf dem Mond, ver­brach­te ei­ni­ge Jah­re in der so­la­ren Or­bi­tal­sta­ti­on, zog dann auf den Mars um und kehr­te als Frau in mitt­le­ren Jah­ren auf ei­ne Welt der Jun­gen zu­rück. Ging wie­der fort, zum Sa­turn, zur Ve­nus, leb­te in ein­sa­men Vor­pos­ten an alp­traum­haf­ten Or­ten. Kam als Grei­sin zu­rück, kauf­te die­ses Haus an der Küs­te des Kon­tin­ents, ar­bei­te­te an dem Pro­jekt und ver­tief­te mich in die kom­pli­zier­te und um­fas­sen­de Auf­ga­be, den Mee­res­grund nach Ar­te­fak­ten der Ver­gan­gen­heit zu durch­wüh­len. Lud Paul und sei­ne Da­me zu mir ein und er­kann­te den Schock in sei­nen Au­gen, als sie das Schiff ver­lie­ßen. Ich schritt ih­nen ent­ge­gen, um sie zu be­grü­ßen, und sah da­bei die un­aus­ge­spro­che­ne Fra­ge auf sei­nen Lip­pen: „Das ist die Frau, mit der ich vor so vie­len
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