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Versunkene Inseln

Versunkene Inseln

Titel: Versunkene Inseln
Autoren: Marta Randall
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und sich die­se kur­ze Lei­den­schaft ins Ge­dächt­nis zu­rück­zu­ru­fen, die Äo­nen zu­rück­lag. Aber war das über­haupt wich­tig?
    Ja. Für mich.
     

8
     
    Sie wa­ren bei­de ent­setzt über den Ho­ver­wa­gen und mei­nen Fahr­stil, und das hat­te ich nicht an­ders er­war­tet. Paul um­klam­mer­te die Arm­leh­ne auf der Bei­fah­rer­sei­te, und Jen­ny war zwi­schen uns ein­ge­klemmt und um­klam­mer­te Paul, wäh­rend ich den klei­nen Wa­gen durch die en­gen Kur­ven der Stra­ße schleu­der­te. Voll­kom­men si­cher, so­wohl die Stra­ße als auch mein Fahr­stil. Ich ken­ne je­de klei­ne Bie­gung und Ser­pen­ti­ne, je­de Stel­le, wo nach ei­nem Re­gen­schau­er mit Pfüt­zen zu rech­nen ist und im Herbst ver­gilb­te Blät­ter fal­len. Die Stra­ße und die Land­schaft, durch die sie führ­te, wa­ren herr­lich, aber mei­ne Pas­sa­gie­re wa­ren so in An­spruch ge­nom­men von ih­rer Angst, daß sie kei­ne Au­gen für die­se Schön­hei­ten hat­ten. Er­neut ver­är­ger­te mich die für die Un­s­terb­li­chen so cha­rak­te­ris­ti­sche Angst. Ab­sicht­lich er­höh­te ich die Ge­schwin­dig­keit wei­ter und nahm die Kur­ven noch über­mü­ti­ger. Wenn sie schon er­schro­cken wa­ren, dann soll­te ih­re Angst zu­min­dest nicht grund­los sein.
    Der klei­ne Wa­gen quietsch­te und schleu­der­te. Ich ver­gaß mei­nen Sar­kas­mus und kon­zen­trier­te mich auf die Kon­trol­len. Der Steu­er­knüp­pel zit­ter­te in mei­nen Hän­den, und ich spür­te die hef­ti­gen Stö­ße, wenn die Luft­kis­sen auf plötz­li­che Un­eben­hei­ten stie­ßen, den Wind, der mir durch die Haa­re fuhr. Ich muß mich wie ei­ne voll­kom­men Ver­rück­te ge­bär­det ha­ben, denn Paul und Jen­ny wa­ren kalk­weiß und steif, als wir durch die vor­letz­te Kur­ve fuh­ren, und ich gab plötz­lich Ge­gen­schub und lenk­te den Wa­gen an den Stra­ßen­rand.
    „Da ist sie“, sag­te ich und deu­te­te hin­aus aufs Meer. Lang­sam lös­te sich ih­re ent­setz­te Star­re. Sie blick­ten in die Rich­tung, die mein aus­ge­streck­ter Arm an­zeig­te, ent­deck­ten die Ili­um und hiel­ten den Atem an.
    Man stel­le sich einen Eis­berg vor: an Bug und Heck spitz zu­lau­fend, breit in der Mit­te, von der Was­ser­li­nie bis zu den Decks steil und glän­zend auf­ra­gend. Un­ter­halb der Was­ser­li­nie, un­sicht­bar, die Rumpf­aus­buch­tung mit den An­ti­gra­vi­to­ren, den Ge­ne­ra­to­ren und Strah­lern, mit der ge­sam­ten An­triebs- und Flug­ma­schi­ne­rie. Doch das Ober schiff war ein wei­ßer Traum, ge­mei­ßelt von ei­nem Bild­hau­er mit über­schweng­li­cher Phan­ta­sie. Die Ili­um ist ei­ne sich steil er­he­ben­de, strah­len­de Ka­the­dra­le, mit Stütz­stre­ben wie Zin­nen, ein kris­tal­le­nes Schloß. Ein schwim­men­des Ju­wel, ein Pa­last, ei­ne ma­te­ria­li­sier­te Vi­si­on. Drei­hun­dert Jah­re an­dau­ern­de Bas­tel­ar­beit von Un­s­terb­li­chen hat­te aus ei­nem schlich­ten, wei­ßen Grav-Scho­ner ei­ne Ge­stalt ge­wor­de­ne Il­lus­tra­ti­on aus ei­nem der al­ten phan­tas­ti­schen Mär­chen­bü­cher ge­macht, und nur die Tren­nungs­li­nie des Rump­fes be­grenz­te die sur­rea­lis­tisch-bi­zar­re Ar­chi­tek­tur der Decks. Das jun­ge Licht des Mor­gens sprüh­te über Fens­ter und Me­tall­bö­gen, ström­te an wei­chen Flan­ken ent­lang, prall­te ge­gen in sich ver­dreh­te Ecken, fun­kel­te hier in ei­nem Mi­na­rett, und glänz­te auf ei­ner Rei­he von schmie­de­ei­ser­nen Bai­ko­nen. Trep­pen schraub­ten sich wie end­los in die Hö­he. Ir­gend­wo be­gan­nen plötz­lich Ko­lon­na­den und fan­den ge­nau­so un­er­war­tet wie­der ein En­de. Flag­gen in al­len mög­li­chen Far­ben weh­ten auf je­dem Turm und Mi­na­rett, von je­der Zin­ne und Spi­ra­le. Die Ili­um war wie ei­ne stol­ze Re­gen­bo­gen­per­le, die et­wa einen Ki­lo­me­ter vor der Küs­te in den sil­ber­nen Wo­gen schwamm. Mei­ne Pas­sa­gie­re starr­ten mit of­fe­nem Mund hin­über. Und zum Dank für ih­re Ehr­furcht fuhr ich den Wa­gen wäh­rend des rest­li­chen Ki­lo­me­ters bis zum Dock sehr lang­sam und vor­sich­tig.
    Dort an­ge­kom­men, schal­te­te ich den Ro­tor aus. Paul und Jen­ny
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