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Verrat in Paris

Verrat in Paris

Titel: Verrat in Paris
Autoren: Tess Gerritsen
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Beryl. Und ich auch. Sie stemmte sich gegen den Wind, fühlte Froggies Mähne in ihrem Gesicht und sog den wunderbaren Geruch des Pferdes, des Klees und der juliwarmen Erde ein. Froggie freute sich genauso sehr wie sie, wenn nicht noch mehr. Beryl fühlte die angespannten Muskeln der Stute, ihre Bereitschaft, das Tempo noch weiter zu erhöhen. Sie ist ein Teufel, so wie ich, dachte Beryl und musste plötzlich laut lachen – dieses wilde Lachen, das der arme Onkel Hughie so fürchterlich fand. Doch hier draußen, auf freiem Feld, konnte sie so wild und wollüstig lachen wie sie wollte. Keiner hörte sie. Könnte sie doch nur für immer so weiter reiten! Ihr Leben schien voller Zäune und Mauern zu sein. Zäune im Kopf, Zäune im Herzen. Sie trieb ihr Pferd weiter an, als ob sie, wenn sie schneller ritt, vor den bösen Gedanken fliehen könnte, die sie verfolgten.
    Die Stürmung der Bastille. Ein komischer Anlass für eine Party.
    Aber Onkel Hugh liebte solche Partys, und die Vanes waren nun mal alte Freunde der Familie; sie verdienten eine würdige Verabschiedung. Sie hatte sich die Gästeliste angesehen, und es standen dieselben langweiligen Leute wie immer darauf. Führten ausgediente Agenten und Diplomaten kein spannenderes Leben? Einen pensionierten James Bond konnte sie sich schließlich auch nicht gerade bei der Gartenarbeit vorstellen.
    Doch genau damit beschäftigte sich Onkel Hugh den lieben langen Tag. Sein Highlight der Woche war die Ernte der ersten hybriden Nepaltomate gewesen – so früh hatte er noch nie eine Tomate geerntet! Und was die Freunde ihres Onkels betraf:
Die
konnte sie sich noch weniger vorstellen, wie sie durch dunkle Gassen in Paris oder Berlin schlichen. Vielleicht gerade noch Philippe St. Pierre – ihn vielleicht, als er noch jünger war; denn auch jetzt, mit 62, war er immer noch charmant und ein echter französischer Ladykiller. Und Reggie Vane hatte vor ein paar Jahren sicher auch keine so schlechte Figur gemacht. Aber die meisten von Onkel Hughs alten Kollegen wirkten doch eher … verbraucht.
    Ich nicht. Niemals.
    Sie galoppierte schneller und ließ Froggie freien Lauf.
    Sie rasten über das letzte Stück Wiese und durch ein kleines Wäldchen. Froggie war inzwischen außer Atem und verfiel in einen langsameren Trab, schließlich ging sie Schritt. An der Steinmauer bei der Kirche hielt Beryl sie an und stieg ab. Der Friedhof lag verlassen da, die Grabsteine warfen lange Schatten über den Rasen. Beryl kletterte über die niedrige Mauer und ging zu der Stelle, die sie schon so oft besucht hatte. Ein schmucker Grabstein ragte über den beiden nebeneinander liegenden Gräbern auf. Die Marmorplatte wurde nicht von Schnörkeln oder Engelsfiguren verziert. Dort stand nur ganz schlicht:
    Bernard Tavistock, 1930-1973 Madeline Tavistock, 1934-1973 Auf Erden wie im Himmel sind wir zusammen.
    Beryl kniete sich ins Gras und blickte versunken auf die letzte Ruhestätte ihrer Eltern. Morgen sind es zwanzig Jahre, dachte sie. Wenn ich mich nur besser an euch erinnern könnte! An eure Gesichter, euer Lächeln. Sie erinnerte sich nur an irgendwelche komischen, unwichtigen Dinge. An den Geruch von Lederkoffern, von Mums Parfüm und Dads Pfeife. An das Knistern des Papiers, wenn sie und Jordan die Geschenke auspackten, die Mum und Dad ihnen mitgebracht hatten. Puppen aus Frankreich. Spieldosen aus Italien. Und sie erinnerte sich, dass sie gelacht hatten. Sie hatten immer viel gelacht …
    Beryl saß mit geschlossenen Augen da und lauschte wie vor zwanzig Jahren diesem glücklichen Geräusch. Im abendlichen Insektengeschwirr und dem Klirren von Froggies Trense und Zaumzeug hörte sie die Geräusche ihrer Kindheit.
    Die Kirchenglocke schlug – sechs Uhr.
    Unvermittelt richtete sich Beryl auf. Oh nein, war es wirklich schon so spät? Sie sah sich um und bemerkte, dass die Schatten länger geworden waren. Froggie stand an der Mauer und sah sie erwartungsvoll an. Oh Gott, dachte sie, Onkel Hugh ist bestimmt schon total sauer auf mich.
    Sie rannte über den Friedhof und schwang sich auf Froggies Rücken. Und schon sprengten sie wieder über das Feld, Pferd und Reiterin zu einer Einheit verschmolzen.
    Zeit für die Abkürzung, entschied Beryl, und lenkte Froggie in Richtung der Bäume. Ein Sprung über eine kleine Steinmauer, ein Stück die Straße entlang, aber immerhin eine ganze Meile kürzer. Froggie schien zu verstehen, dass jede Minute zählte. Sie wurde schneller und näherte sich der Mauer mit der
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