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Verrat in Paris

Verrat in Paris

Titel: Verrat in Paris
Autoren: Tess Gerritsen
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Prolog
    Paris, 1973
    S ie war zu spät. Das war so gar nicht Madelines Art.
    Bernard Tavistock bestellte sich noch einen Milchkaffee und trank ihn in aller Ruhe. Dabei schaute er sich immer wieder um, ob er seine Frau irgendwo entdecken konnte. Doch alles, was er sah, war die typische Szenerie des linken Seine-Ufers: Touristen und Einheimische, rot karierte Tischdecken, ein Sammelsurium an Sommerfarben. Und noch immer keine Spur von seiner Frau. Mittlerweile war sie schon eine halbe Stunde überfällig; dahinter steckte mehr als ein Verkehrsstau. Er bemerkte, dass er begonnen hatte, nervös mit dem Fuß zu wippen. In all den Jahren, in denen sie nun verheiratet waren, war Madeline kaum jemals zu einer Verabredung zu spät gekommen, und wenn, dann höchstens ein paar Minuten. Andere Männer mochten über ihre ewig unpünktlichen Gattinnen stöhnen und die Augen rollen, doch Bernard konnte sich nicht beschweren – er war mit einer Frau verheiratet, die immer pünktlich war. Einer schönen, schwarzhaarigen Frau. Einer Frau, die ihn auch nach fünfzehn Jahren Ehe noch zu überraschen, zu faszinieren, zu verführen vermochte.
    Aber wo zum Teufel
blieb
sie?
    Er schaute den Boulevard Saint-Germain hinauf und hinunter. Seine Nervosität wich langsam echter Sorge. Ob sie einen Unfall gehabt hatte? Oder ob sie in letzter Minute von ihrem Kontaktmann Claude Daumier beim französischen Geheimdienst alarmiert worden war? Schließlich hatten sich in den letzten zwei Wochen die Ereignisse überschlagen. Die Gerüchte über eine NATO-Sicherheitslücke – einen Maulwurf in ihren eigenen Reihen – hatten für allgemeines Unbehagen gesorgt, man fragte sich, wem man noch trauen konnte und wem nicht. Seit Tagen wartete Madeline auf Instruktionen vom MI 6 aus London. Vielleicht hatte man sie ja gerade kontaktiert.
    Aber dann hätte sie sich gemeldet.
    Er stand auf und wollte gerade zum Telefon gehen, als er sah, wie Mario, sein Kellner, ihm zuwinkte. Der junge Mann bahnte sich geschickt seinen Weg durch die Tische.
    »Monsieur Tavistock, gerade hat Madame für Sie angerufen.«
    Bernard seufzte erleichtert. »Wo ist sie?«
    »Sie sagte, sie kann nicht zum Lunch kommen. Sie möchte sich aber mit Ihnen treffen.«
    »Wo?«
    »Hier ist die Adresse.« Der Kellner gab ihm einen Zettel, auf dem sich allem Anschein nach Spritzer einer Tomatensuppe befanden. Die Adresse war mit Bleistift notiert: Rue Myrha 66, Wohnung 5.
    Bernard runzelte die Stirn. »Ist das nicht am Pigalle? Was um Himmels willen hat sie denn da zu suchen?«
    Mario zuckte die Schultern in typisch französischer Manier, mit geneigtem Kopf und hoch gezogenen Brauen. »Keine Ahnung. Sie hat mir die Adresse genannt, und ich habe sie aufgeschrieben.«
    »Vielen Dank.« Bernard griff nach seinem Portemonnaie und gab dem Kellner das Geld für seine zwei Milchkaffee und ein großzügiges Trinkgeld.
    »Merci«, sagte der Kellner lächelnd. »Sehen wir Sie zum Abendessen, Monsieur Tavistock?«
    »Wenn ich meine Frau finde«, brummte Bernard und machte sich auf den Weg zu seinem Mercedes.
    Während er zum Place Pigalle fuhr, schimpfte er die ganze Zeit vor sich hin. Was um alles in der Welt war in sie gefahren? Was wollte sie da? Es war nicht gerade der sicherste Ort in Paris für eine Frau – oder auch für einen Mann. Er tröstete sich mit dem Gedanken, dass seine liebe Madeline ganz gut auf sich aufpassen konnte. Sie war eine viel bessere Schützin als er, und die automatische Pistole, die sie in ihrer Handtasche hatte, war immer geladen – eine Vorsichtsmaßnahme, auf der er seit der Beinahe-Katastrophe in Berlin bestand. Es war beunruhigend, dass man heute nicht einmal mehr seinen eigenen Leuten trauen konnte. Überall saßen unfähige Leute, im MI 6, in der NATO, beim französischen Geheimdienst. Und damals war Madeline ganz allein gewesen in diesem Haus in der DDR, ohne jegliche Verstärkung.
Wenn ich nicht gerade noch rechtzeitig aufgetaucht wäre …
    Nein, so einen Horror wollte er nicht noch mal erleben.
    Und sie hatte ihre Lektion gelernt. Die geladene Pistole war seitdem ihr ständiger Begleiter.
    Er bog in die Rue de Chapelle ein und schüttelte angewidert den Kopf angesichts der heruntergekommenen Straße, der schäbigen Nightclubs, der leicht bekleideten Frauen, die an jeder Straßenecke standen. Sie sahen seinen Mercedes und boten ihre Dienste an. Verzweifelt. Die Amerikaner nannten diese Ecke »Pig Alley« statt Pigalle, »Schweinestraße«. Hierher kam man, wenn man
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