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Verleumdung

Verleumdung

Titel: Verleumdung
Autoren: Karen Vad Bruun , Benni Boedker
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Hierarchie im Militär ziemlich dominierend. Aber sie war auf eine so befreiende Weise unmissverständlich, dass er nichts anderes tun musste, als seinen Platz im System einzunehmen. Jonas wusste, wer wem etwas zu sagen hatte, und bekam jeden Tag klare Ansagen darüber, was von ihm erwartet wurde. Trotzdem hatte er nach dem Ende seines Wehrdienstes eine Rückkehr nicht ernsthaft in Betracht gezogen. Er war eine nötige Verschnaufpause für ihn gewesen, aber er sah die Armee nicht als den Ort an, wo er die Höhen erreichen konnte, zu denen er sich selbst berufen fühlte. Diese Überzeugung war nur eins von vielen Dingen, an denen Lex etwas ändern sollte.
    Der irakische Dolmetscher fuhr fort, in rasantem Tempo die Drohungen und Anschuldigungen des Hauptmanns zu übersetzen. Jonas registrierte, dass er sich seiner Aufgabe mit ungewöhnlicher Leidenschaft widmete. Sein Tonfall klang fast genauso bedrohlich wie Overbyes, und seine Übersetzung schien oft bedeutend länger als das Original. Mit einem Mal fiel Jonas auf, welch eine Macht ein solcher Mann erlangen konnte – in einer Welt, in der Angst und Paranoia bei den Truppen mit jedem Selbstmordanschlag und jedem am Straßenrand versteckten Sprengsatz wuchsen.
    Vor einer Woche erst war ein dänischer Soldat von einem ferngesteuerten Sprengsatz getötet und ein weiterer verletzt worden. Im Camp Dannevang waren die Flaggen nicht länger auf Halbmast gesetzt, aber alle waren noch immer spürbar betroffen. Die beiden Soldaten waren unterwegs gewesen, um zivile Mitarbeiter des dänischen Außenministeriums zu schützen, die in Basra stationiert waren, um beim Aufbau des Landes zu helfen. Nach dem Angriff war sofort der Umzug aller dänischen Zivilisten ins Camp der Shaibah Logistics Base organisiert worden. Und in Dänemark hatte der Außenminister das Geschehen im Fernsehen mit »ein weiterer Scheißtag im Irak« kommentiert.
    Die Stimmung im Camp bei Basra war auf dem Siedepunkt. Als der Dolmetscher frische Informationen darüber lieferte, dass eine Gruppe junger irakischer Männer mit einer größeren Menge Sprengstoff gesichtet worden war, meldeten sich viele Freiwillige, um hinauszufahren und sie zu verhaften. Nach einer dreistündigen Fahrt fanden sie nur einen Jugendlichen, aber keinen Sprengstoff. Und das war der Grund für dieses endlose Verhör, das vor allem zwischen dem Dolmetscher und dem Siebzehnjährigen stattzufinden schien.
    Jetzt schrie der Jugendliche erneut auf. Jonas drehte sich weg und versuchte, seine Übelkeit zu bekämpfen. Dann wurde es still. Allzu still, bis Overbye begann, ein paar kurze Kommandos zu blaffen.
    »Neergaard, du bringst den Dolmetscher nach draußen. Für den haben wir jetzt keinen Bedarf mehr. Dann bleibst du dort stehen, bis du wieder von mir hörst. Niemand kommt hier rein, verstanden?«
    Jonas warf einen kurzen Blick auf den Jungen, bevor er den Dolmetscher nach draußen begleitete. Der Junge lag stumm auf der Seite, mit dem Rücken zum Raum, das Gesicht verborgen.
    Dann knallte Overbye die Tür hinter ihnen zu, und sie befanden sich mitten im Camp in der grellen Sonne. Vereinzelt standen Soldaten herum und versuchten, sich nach dem Turnier mit dem Strahl einer Wasserflasche abzuduschen. Jonas erschien es irreal, dass alles einfach weiterging, als sei nichts geschehen. Als Jonas’ Augen sich wieder ganz an das Licht gewöhnt hatten, war der Dolmetscher bereits im Aufbruch begriffen. Dann wandte er sich doch noch einmal um, lächelte kalt und klopfte Jonas auf die Schulter.
    »Be seeing you, my man. Always happy to oblige.«
    Danach überquerte er den Weg und schloss sich einer Gruppe Einheimischer an, die gerade dabei waren, den Kasernenverantwortlichen Lebensmittel zu verkaufen. Ein letztes Mal drehte er sich um und begegnete Jonas’ Blick, noch immer lächelnd. Dann machte er das Victory-Zeichen und spuckte auf den Boden.
    Jonas stützte sich gegen die Mauer und erbrach sein Frühstück.
    3
     
    Z wanzig Minuten später konnte Boserup endlich den Schalthebel loslassen. Doch kaum hatte er kurz beschleunigt, musste er das Tempo auch schon wieder drosseln. Sie bewegten sich nur so langsam vorwärts, dass die Schilder mit dem Tempolimit fast höhnisch wirkten. »Wir werden wohl in einer Stunde da sein.«
    »Bei diesem Tempo?«, fragte Linnea.
    Er nickte. Sie konnte sehen, dass er ihr noch immer verstohlene Blicke zuwarf. Sie war nicht eitel genug zu glauben, dass es an ihren sonnengebräunten Beinen lag. Anscheinend fand er
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