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Verleumdung

Verleumdung

Titel: Verleumdung
Autoren: Karen Vad Bruun , Benni Boedker
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es exotisch, sie zu chauffieren. Natürlich hatte er schon von ihr gehört. Und wenn sie sich nicht völlig täuschte, war er sowohl neugierig als auch beeindruckt, oder er hoffte einfach nur auf eine gute Geschichte, die er bei seiner Rückkehr im Revier erzählen konnte. Irgendwann nahm er sich ein Herz und rückte mit seiner Frage heraus: »Warum sind Sie eigentlich Rechtsmedizinerin geworden?«
    »Warum?«, wiederholte sie, ohne von ihrem Blackberry aufzusehen.
    Sie meinte aus dem Augenwinkel zu erkennen, wie er rot wurde, aber sie vermied es, ihn direkt anzusehen.
    »Streng genommen, bin ich ja gar keine Rechtsmedizinerin. Aber Sie meinen, warum ich als Mädchen einen solchen Beruf wähle, oder?«
    Diesmal sah sie ihn direkt an, obwohl er sein Bestes tat, um sich auf die Straße zu konzentrieren, bestand jetzt, wo sich der Stau endlich aufzulösen schien, kein Zweifel mehr daran, dass er rot geworden war. Plötzlich sah er noch jünger aus, als sie ihn anfangs geschätzt hatte. Vermutlich kam er frisch von der Polizeischule.
    »Keine Ahnung«, antwortete sie schließlich. »Warum sind Sie Polizist geworden? Weil Sie als Kind gern Räuber und Gendarm gespielt haben?«
    Er schwieg, und sie begriff, dass sie vermutlich richtig geraten hatte. Ihre Antwort auf seine unschuldige, bewundernde Frage war wohl fast schon eine Beleidigung, und sie schämte sich ein bisschen dafür.
    Sie schaute wieder aus dem Fenster, während sie sich langsam den erlaubten 110 Stundenkilometern näherten und Linnea endlich wieder das Gefühl bekam, auf einer Autobahn zu fahren. Noch fünfundzwanzig Kilometer bis Nykøbing Sjælland, stand auf einem Schild, doch ganz so weit mussten sie nicht.
    Was sie Boserup geantwortet hatte, entsprach nicht der Wahrheit. Sie wusste genau, wo und wann sie beschlossen hatte, was sie einmal werden wollte. Damals hatte sie natürlich keine detaillierte Vorstellung von ihrem Beruf gehabt und kannte das Wort Forensische Anthropologin noch nicht. Sie war ja auch erst zwölf gewesen. Aber dennoch. Ihr Vater war zu dieser Zeit vorübergehend in Paris oder Brüssel stationiert gewesen. Sie war sich nicht mehr ganz sicher. Auf jeden Fall hatten sie einen Wochenendausflug nach Den Haag unternommen. Ihre Mutter war auch dabei gewesen. Mit ihr hatte Linnea die Stadt erkundet, die keinen größeren Eindruck bei ihr hinterlassen hatte. Und wie immer hatte die Mutter sie in Kunstmuseen geschleppt.
    »Rembrandt, das ist große Kunst! Das kann dir nicht schaden, junge Dame.«
    Als sie im Mauritshuis Museum waren, hatte die Mutter schnell aufgegeben, sie zu beaufsichtigen. Und Linnea bekam die Erlaubnis, allein in dem alten Palast umherzustreifen. Sie hatte sich gelangweilt und war von Saal zu Saal geschlendert, ohne sich die Bilder anzusehen, die überall eng aneinandergereiht hingen. Einige Male hatte sie die Wächter geärgert, indem sie etwas zu dicht an ein Bild herangegangen war, jedoch ohne dem Gemälde dabei größere Aufmerksamkeit zu schenken. Bis sie eine Gruppe spanischer Touristen erblickte, die eine Führung mitmachte. Die Spanier hatten sich vor einem Bild versammelt, und sie ging neugierig zu ihnen hinüber. Abgesehen davon, dass das Gemälde riesig war, fast zwei Meter breit und genauso hoch, erschien es ihr zunächst genauso langweilig wie all die anderen. Es stellte einige Männer aus längst vergangenen Zeiten mit weißen Halskrausen dar. Sie verstand nicht viel von dem, was der Museumsführer erzählte, und die Gruppe trottete kurz darauf weiter. Eigentlich wollte sie ihr folgen, doch nun sah sie das Bild richtig. Und erst da ging ihr auf, was es eigentlich darstellte. Auf der rechten Seite stand ein Mann, der als Einziger einen Hut trug. Die übrigen Männer auf dem Bild standen allesamt auf der linken Seite und starrten in seine Richtung. Doch sie sahen nicht ihn an, sondern beobachten, womit er gerade beschäftigt war. Seine linke Hand war erhoben, als erkläre er etwas. In der rechten hielt er irgendein Instrument, das er in den Eingeweiden einer aufgeschnittenen Leiche platziert hatte, die vor ihm auf dem Tisch lag. Linnea verspürte eine merkwürdige Erregung, als sie verstand, was der Mann auf dem Bild gerade tat. Doch ausgerechnet in diesem Augenblick kam ihre Mutter und wollte sie weiterschleifen.
    Linnea protestierte, sie wollte mehr sehen.
    »Das ist nichts für dich. Außerdem ist es schon spät. Wir müssen zurück ins Hotel, bevor Papa kommt.«
    »Aber hast du mir nicht immer erzählt,
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