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Zwei kunterbunte Freundinnen | Das Chaos wohnt nebenan

Zwei kunterbunte Freundinnen | Das Chaos wohnt nebenan

Titel: Zwei kunterbunte Freundinnen | Das Chaos wohnt nebenan
Autoren: Anne Holt
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    Erstes Kapitel,
    in dem Maibritt so sauer ist, dass sie verbotenerweise an den Herd geht, eine sonderbare, neue Nachbarin trifft und etwas ganz Schreckliches auf der anderen Seite der Hecke sieht.
    An diesem Morgen ging einfach alles schief.
    Maibritt war schon wieder völlig erschöpft, als sie sich auf das Mäuerchen vor dem Haus setzte. In ihrem Rucksack hatte sie zwei extraleckere Pausenbrote und eine Wasserflasche, ihre Schulbücher und das Federmäppchen, das Oma ihr vor gerade einmal vier Tagen zum Geburtstag geschenkt hatte.
    Eigentlich war es ein schöner Maimorgen. Aber den hatte Maibritts kleine Schwester Juni ihr gründlich verhagelt. Juni benahm sich mehr oder weniger rund um die Uhr daneben. Aber an diesem Morgen war es besonders schlimm gewesen. Maibritt war davon aufgewacht, dass Juni ihr Wasser über den Kopf gegossen hatte. Dann hatte sie entdeckt, dass Juni in den Puppennachttopf gepinkelt hatte. Der war natürlich viel zu klein für die Pipimenge einer Fünfjährigen nach einer langen Nacht. Und so stand der randvolle Topf mitten in einer Pfütze stinkenden Kleinschwesterpipis.
    Maibritt wusste, dass Schimpfen sinnlos war, und hatte ihre kleine Schwester am Schlafanzugoberteil gepackt, sie aus dem Zimmer geschoben und schnell die Tür abgeschlossen. Danach hatte sie sich in Ruhe angezogen und Pipi Pipi sein lassen. Darum sollte Mama sich kümmern. Oder Papa. Immerhin war Juni ihre unmögliche Tochter.
    Das Problem war, dass Maibritt ihre Tür nachts nicht abschließen durfte. Wenn sie das gedurft hätte, wären ihr solche Unglücke erspart geblieben. Aber Papa war strikt dagegen. Was, wenn es irgendwo im Haus anfinge zu brennen, und ihre Tür wäre abgeschlossen?, sagte er, wenn Maibritt sich beschwerte. In solchen Situationen könnten Sekunden über Tod und Leben entscheiden, meinte er. Da seien ihm ein zerlegtes Puppenhaus oder zerschnippelte Kleider doch entschieden lieber.
    Maibritt war an diesem Morgen so sauer auf ihre kleine Schwester, dass sie auf dem Weg in die Küche noch nicht einmal in Mamas und Papas Schlafzimmer reingeschaut hatte, wie sonst immer. Sie hatte sich Haferbrei gekocht, obwohl sie den Herd nicht allein anstellen sollte. Dann hatte sie vier dicke, etwas schiefe Brotscheiben abgeschnitten, jede Menge Butter draufgeschmiert, den einen Doppeldecker mit Zucker bestreut und den anderen großzügig mit Marmelade bestrichen.

    Das war eigentlich auch nicht erlaubt.
    Maibritt tat äußerst selten Dinge, die nicht erlaubt waren. Sie war eins dieser Kinder, die die Erwachsenen als »vernünftig« bezeichneten. In der Regel tat sie, worum sie gebeten wurde, und das war nicht gerade wenig. Sie passte auf ihre kleine Schwester auf. Sie räumte ihr Zimmer auf. Manchmal war ihr Zimmer der einzige aufgeräumte Platz im ganzen Haus. Sie schrieb jede Woche einen Brief an Oma. Richtige, handgeschriebene Briefe, mit Umschlag und Briefmarke und ab und zu einem hübschen Aufkleber auf der Rückseite. Wenn sie aus der Schule nach Hause kam, setzte sie sich sofort an den Tisch, um ihre Hausaufgaben zu machen. Sie war eine sehr gute Schülerin. Ja, Maibritt konnte sogar schon Essen kochen, obwohl sie erst in die zweite Klasse ging und vor vier Tagen acht Jahre alt geworden war.
    An manchen Tagen fand sie es schrecklich anstrengend, so vernünftig zu sein.
    Heute war einer dieser Tage.
    Darum hatte sie das Zähneputzen übersprungen. Und jetzt saß sie auf dem Mäuerchen vor dem Haus und wartete auf die anderen Kinder, mit denen sie zur Schule ging, während sie sich mit der Zunge durch den Mund fuhr. Ihre Zähne fühlten sich pelzig an, eklig irgendwie. Sie bereute schon, dass sie sie nicht geputzt hatte. Aber wenigstens über die Pausenbrote ärgerte sie sich nicht. Die anderen würden bestimmt total neidisch sein. Es passierte höchst selten, dass jemand Maibritt beneidete.
    »Sitzt du da?«, fragte eine Stimme.
    Maibritt sah sich um. Sie konnte niemanden sehen. Die Stimme kam von der anderen Seite der Hecke. Dahinter lag ein riesiger Garten, der so verwildert war, dass Maibritt sich nicht so recht hineintraute.
    »Ja«, antwortete Maibritt, weil das genau das war, was sie tat.
    »Warum sitzt du da?«, fragte die Stimme weiter.
    Maibritt fand es sehr merkwürdig, mit einer Stimme zu sprechen, die niemandem gehörte, und beschloss, nicht zu antworten. Da schaute plötzlich ein Gesicht aus der dichten Hecke. Maibritt war sich nicht ganz sicher, ob das Gesicht zu einem Mädchen oder
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