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Verleumdung

Verleumdung

Titel: Verleumdung
Autoren: Karen Vad Bruun , Benni Boedker
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Dolmetscher handelte. Und da er vom Schock wie gelähmt war, hatte er keine Chance, unbemerkt zu entkommen. Eine Sekunde lang kniff er die Augen zusammen und hoffte, seine Phantasie hätte ihm einen morbiden Streich gespielt, doch er wusste genau, dass er nicht so leicht davonkam.
    »Holm, my man. Wie klein doch die Welt ist!«
    Firaz hielt einen Pappbecher mit Kaffee in der Hand und hob ihn schon von weitem in die Luft, als wolle er ihm zuprosten. Jonas lächelte angestrengt, aber er spürte, wie sich ein saurer Geschmack in seinem Mund ausbreitete und sein Herz in der Brust zu hämmern begann. Vor dem Eingang zum Spielzeugladen hatten sie einander erreicht.
    »Firaz, was zum Teufel machst du in Dänemark?«
    Jonas versuchte, schroff und gleichgültig zu klingen, eine nonchalante Haltung einzunehmen und sich gleichzeitig so schmal wie möglich zu machen und gegen das Schaufenster zu drücken, damit die Passanten ungehindert vorbeikamen. Die scharfe Kante eines Metallkorbs mit Weihnachtsdekoration bohrte sich in seinen rechten Oberschenkel, und er freute sich über den Schmerz. Immerhin war er ein Zeichen dafür, dass sein Körper nicht völlig gelähmt war. Firaz schien seine Umgebung gar nicht wahrzunehmen, nicht einmal die vielen Mütter, die ihrem Ärger darüber Luft machten, dass er mit seiner ausladenden Daunenweste den halben Eingang zum Spielzeugladen blockierte.
    Firaz warf seinen leeren Kaffeebecher hinter sich und schlug Jonas vor, in ein Café zu gehen, um sich aufzuwärmen und Neuigkeiten auszutauschen. Jonas bereute sofort, dass er nicht einfach nein gesagt hatte. Alles in ihm schrie danach, von diesem Mann wegzukommen. Alle Zeichen sprachen dafür, dass nur eine halbe Stunde in Firaz’ Gegenwart alle Gefühle in ihm freisetzen würde, die er seit einem Jahr zu verdrängen versuchte. Dennoch zögerte er so lange, dass er den Vorschlag nicht mehr auf glaubwürdige Weise ablehnen konnte.
    Jonas gab nach und folgte Firaz in eine Konditorei in einer Seitenstraße. Resigniert nahm er zur Kenntnis, wie paradox es war, sich in seiner vertrauten Umgebung herumführen zu lassen – von einem Mann, der höchstens seit ein paar Monaten in Dänemark sein konnte und außerdem einer ganz anderen Welt angehörte. Manche Menschen hatten ein außerordentliches Talent, sich überall anzupassen. Früher war er einmal genauso gewesen.
    »Und, was treibst du so, Big Man Holm? Wie ich höre, ist deine Zeit beim Militär vorbei?«
    Jonas fluchte innerlich darüber, Teil dieses Schauspiels zu sein. Natürlich wusste der irakische Dolmetscher genau über alles Bescheid, was geschehen war, seit sie sich das letzte Mal begegnet waren. Der Skandal hatte genau das richtige Ausmaß gehabt, damit alle davon erfuhren, und Firaz musste in dieser Sache auch unzählige Male verhört worden sein.
    Noch dazu war der Dolmetscher schon vorher stets am besten informiert gewesen von allen Irakern, die sich im Camp Dannevang aufgehalten hatten. Er war nahezu immer dort und mit den meisten gut Freund gewesen, was in erster Linie daran lag, dass er fast alles beschaffen und fast alles absetzen konnte. Doch obwohl damals noch über ein Monat vergangen war, ehe Jonas und die anderen unehrenhaft nach Hause entlassen worden waren, hatte er Firaz seit dem Verhör mit dem Jungen merkwürdigerweise nicht wiedergesehen. Und das war der Tag, der Jonas immer wieder heimsuchte. Nicht nur in der Zeit kurz nach dem Auslandseinsatz, sondern bis heute, wo all das längst der Vergangenheit angehören sollte. Sowohl mental als auch rein praktisch – denn alle seine Karrierepläne waren den Bach runtergegangen wegen dieses einen verdammten Tages und allem, was folgte.
    Firaz’ Lächeln wirkte plötzlich fast mitleidig.
    »Aber so ein schlauer Kerl wie du, Holm, der schlägt sich immer durch, oder? Was machst du denn so?«
    Jonas zuckte mit den Schultern.
    »Ich habe eine Security-Firma zusammen mit ein paar der anderen Jungs von damals. Du weißt schon, Türsteher, Leibwächter, solche Aufgaben. Ist ganz in Ordnung. Ich arbeite mit Overbye zusammen.«
    »Overbye.«
    Firaz wiederholte den Namen des Hauptmanns. Dann schwieg er, als wüsste er das alles schon im Voraus und als passte es ihm ausgezeichnet. Schließlich beugte er sich über den Tisch.
    »Aber springt etwas dabei heraus? Macht ihr richtig Kohle?«
    Firaz fragte eifrig und etwas zu schnell, und anschließend hatte Jonas das Gefühl, dass der andere seinen Gesprächspart vorher einstudiert hatte und
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