Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Vergib uns unsere Sünden - Thriller

Titel: Vergib uns unsere Sünden - Thriller
Autoren: PeP eBooks
Vom Netzwerk:
Dunkelheit seiner eigenen Gedanken zu spüren. Er sah es in seinem Spiegelbild, die Schatten unter den Augen. »Alles okay«, sagte er, aber es schwang etwas Unbestimmtes, Unterdrücktes in seiner Stimme mit.
    »Bist du fit genug für die Sache?«
    »Mehr als je zuvor«, antwortete Miller im Tonfall philosophischer Resignation.
    Roth ging vorbei an Miller quer durch das Foyer und stieg
die Treppe hinauf. Miller folgte ihm, und sie schlängelten sich durch den Flur zum Schlafzimmer der Toten. Eine Gruppe von drei, vier Männern stand vor der Tür. Einer von ihnen - Miller kannte das Gesicht aus einer anderen Zeit, einem anderen dunklen Raum ihrer kollektiven Vergangenheit - nickte ihm zu. Sie wussten, wer Miller war. Sie wussten, was ihm zugestoßen, auf welche Weise sein Leben von den Zeitungen durchleuchtet und vor der Welt ausgebreitet worden war. Alle hätten sie ihm gern dieselbe Frage gestellt, aber niemand tat es.
    Er betrat das Zimmer und hatte den Eindruck, als würden alle Kollegen aus seinem Blickfeld verschwinden. Er verhielt kurz im Schritt.
    Nichts war so wie ein toter Mensch.
    Nichts auf der Welt.
    Lebende und tote Menschen hatten nicht die geringste Ähnlichkeit miteinander. Auch jetzt noch, trotz der vielen Toten, die er gesehen hatte, gab es diese Sekunde, in der Miller glaubte, das Opfer würde jeden Moment die Augen aufschlagen und tief Luft holen, vielleicht mit einer schmerzverzerrten Grimasse, einem schwachen Lächeln, wie um zu sagen: »Da bin ich wieder … Tut mir leid, ich muss wohl kurz woanders gewesen sein.«
    Es hatte ein erstes Mal gegeben, natürlich. Aber von diesem ersten Mal war Miller etwas geblieben, das ihm jedes Mal wieder das Herz stillstehen ließ - nur für eine Sekunde, den Bruchteil einer Sekunde - und zu ihm sagte: »So etwas tun Menschen anderen Menschen an. Wieder so ein Beispiel dafür, wie das Leben jemanden von uns zerschmettern kann.«
    Das Erste, was ihm diesmal auffiel, war ihre unnatürliche Haltung. Catherine Sheridan kniete, die Arme zu beiden Seiten von sich gestreckt, der Kopf ruhte auf der Matratze, seitlich, eine Wange auf das Laken gebettet. Ein zweites Laken
war ihr nachlässig um die Hüften drapiert worden und verdeckte den Großteil ihrer Beine. Es sah aus, als würde sie an ihrem Körper entlang nach hinten zur Tür schauen. Eine laszive Position, die nichts Laszives mehr hatte.
    Das Zweite war ihr Gesichtsausdruck. Er hätte kein Wort dafür gefunden. Er ging auf die Knie, um ihr von ganz nah ins Gesicht sehen zu können; in der glasigen Stille ihrer Augen spiegelte sich sein Gesicht. Es war fast nicht möglich, das Gefühl zu beschreiben, das dieses Gesicht ausdrückte. Hinnahme? Resignation? Vielleicht Ergebenheit? Es stand im Kontrast zu den grauenhaften Quetschungen auf Armen und Schultern. Vom Hals abwärts, und nach dem Wenigen, was er von Hüften und Schenkeln sehen konnte, war sie erbarmungslos geschlagen worden, mit einer Brutalität, die kein Mensch überlebt hätte. Das Blut war schon geronnen, die Schwellungen traten als verdickte, klumpige Flüssigkeit hervor. Die Schmerzen mussten weiter und immer weiter gegangen sein, bis sie plötzlich - segensreiche Stille nach nicht enden wollendem Lärm - aufgehört hatten.
    Miller hätte die Hand nach ihr ausstrecken, sie berühren, ihr die Augen schließen, Beruhigendes ins Ohr flüstern, ihr sagen wollen, dass der Schrecken ein Ende und sie nun Frieden hatte … aber er konnte es nicht.
    Es hatte eine Weile gedauert, bis das Blut ihm nicht mehr durch die Venen rauschte, das Herz keinen Schlag mehr ausließ. Mit jedem neuen Opfer kehrten auch die alten zurück. Wie Geister. Vielleicht weil sie sich erhofften, mehr über das zu erfahren, was ihnen widerfahren war.
    Catherine Sheridan war seit zwei bis drei Stunden tot. Die Gerichtsmedizinerin bestätigte später, dass der Tod am Samstagnachmittag des 11. November zwischen Viertel vor fünf und sechs Uhr eingetreten war. Um zwanzig vor sechs war die Pizzabestellung eingegangen. Der Lieferjunge war um fünf nach sechs eingetroffen und hatte ein paar Minuten
später die Leiche entdeckt. Kurz nach halb sieben war Miller im Zweiten Revier benachrichtigt worden und um Viertel vor sieben am Tatort gewesen. Roth war zehn Minuten später eingetroffen, und als die beiden vom Flur des ersten Stocks aus einen Blick auf Catherine Sheridan in ihrer unnatürlichen Haltung warfen, war es fast Viertel nach sieben. Sie sah kalt aus, aber die Verfärbung der Haut war
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher