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Vater unser

Vater unser

Titel: Vater unser
Autoren: Jilliane Hoffman
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tönte seine Stimme aus dem Fernseher. Sie hatte während ihrer Karriere als Staatsanwältin unzählige Urteilsverkündungen erlebt, trotzdem war ihr jedes Mal aufs Neue das Adrenalin durch den Körper geschossen, wenn die Gerichtsschreiberin ihr am Telefon mitgeteilt hatte, dass die Geschworenen zu einem Urteil gekommen waren und sie im Gericht erwartet wurde. Julia war nicht die Einzige, die so empfand –jedem Staatsanwalt ging es so. Selbst wenn der Fall völlig unbedeutend war – die Geschworenen waren zu einem Urteil gekommen. Auch in diesem Moment spürte Julia den Adrenalinschub. Sie sah auf die Uhr. Es war erst achtzehn Minuten nach fünf. Die Geschworenen hatten sich nur zwei Stunden lang beraten. Ein schnelles Urteil bedeutete bei einem Fall, in dem es um Unzurechnungsfähigkeit ging, nichts Gutes für die Verteidigung. Julias Herz fing an zu rasen, und sie ging hektisch in ihrem Büro auf und ab. Jetzt wäre der ideale Zeitpunkt, den Rest ihrer Habseligkeiten in den Karton zu werfen, ihr Diplom von der Wand zu nehmen und rasch zu verschwinden. Aber sie konnte es nicht. Stattdessen starrte sie wieder aus dem Fenster. Die Stufen vor dem Gerichtsgebäude waren nun gespenstisch leer. Das war ihr Fall. Ihre Urteilsverkündung. Sie wollte ein letztes Mal den Gerichtssaal betreten, ein letztes Mal in die Gesichter der Geschworenen blicken, die sie selbst mit ausgesucht hatte. Doch vor allem wollte sie, dass diese drei Männer und neun Frauen sie noch einmal sahen. Sie alle sollten wissen, dass dies nicht bloß irgendein Fall für sie gewesen war. Also ließ Julia den Pappkarton stehen und lief hinüber zum Gericht. Niemand bemerkte, wie sie in den überfüllten Gerichtssaal schlüpfte, denn aller Augen waren auf die zwölf Männer und Frauen gerichtet, die gerade wieder ihre Plätze auf der Geschworenenbank einnahmen. Sie hatten den Blick gesenkt. Keiner von ihnen sah in die Menge der Zuschauer. Und keiner sah hinüber zum Angeklagten. Plötzlich tauchte Lat neben Julia auf und nahm wortlos ihre Hand.
« Meine Damen und Herren Geschworenen, sind Sie zu einem Urteil gekommen?», fragte Richter Farley und faltete das Blatt mit der offiziellen Urteilsverkündung, die er gerade gelesen hatte, wieder zusammen. Dann reichte er es Ivonne, der Gerichtsschreiberin.
« Ja, das sind wir, Euer Ehren», sagte der Sprecher der Geschworenen und verschluckte dabei die zweite Hälfte des Satzes, weil er in diesem Moment endlich aufsah und registrierte, dass eine Wand aus Kameras auf ihn gerichtet war. Er wurde puterrot, und große Schweißperlen traten auf seine Stirn.
« Angeklagter, bitte erheben Sie sich», sagte Farley und betrachtete David Marquette mit gerunzelter Stirn. Julia starrte den Sprecher der Geschworenen wie hypnotisiert an. Mel Levenson beugte sich zu seinem Mandanten und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Dann standen beide auf. Levenson strich sein Jackett glatt und knöpfte es zu. David Marquette blickte starr geradeaus, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Julia bemerkte, dass sie leicht zitterten.
« Würde die Gerichtsschreiberin dann bitte das Urteil verkünden?», sagte Richter Farley mit undurchdringlicher Miene. Ivonne nickte und erhob sich. Sie setzte sich ihre Lesebrille auf und faltete das Blatt Papier auseinander.
« Wir, die Geschworenen des Bezirks MiamiDade, Florida», begann sie, « befinden an diesem neunundzwanzigsten März des Jahres 2006 den Angeklagten David Alain Marquette in Punkt eins der Anklage, dem Mord an Jennifer Leigh Marquette, für –» Die Gerichtsschreiberin stieß ein leises Keuchen aus und blickte mit aufgerissenen Augen in die Kameras, bevor sie die Worte stammelte, auf die die ganze Welt wartete.
« Wir befinden den Angeklagten für nicht schuldig aufgrund von Unzurechnungsfähigkeit ...»
KAPITEL 101
    W ÄHREND IVONNE mit der Urteilsverkündung fortfuhr, brach im Gerichtssaal die Hölle los. Richter Farley hatte gewusst, was passieren würde, und in weiser Voraussicht den Alarmknopf unter seinem Tisch gedrückt, gleich nachdem er das Urteil an Ivonne weitergereicht hatte. Nun verteilten sich bereits mehrere bewaffnete Sicherheitsbeamte im Saal.
« O mein Gott!», schrie einer der Reporter in eine Kamera und verstieß damit gegen die Gerichtsordnung.
« Nicht schuldig! Er ist nicht schuldig! In allen vier Anklagepunkten!» Das brach auch bei den anderen Journalisten den Bann, und plötzlich schrien alle durcheinander und versuchten, sich gegenseitig an Lautstärke zu
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