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Vater unser

Vater unser

Titel: Vater unser
Autoren: Jilliane Hoffman
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Pferdeschwanz gebunden und eine Baseball-Kappe aufgesetzt, daher war sie für Menschen, die sie nur in Kostüm und hochhackigen Schuhen kannten, wahrscheinlich auf den ersten Blick eine Fremde. Mit einem zusammengefalteten Pappkarton unter dem Arm verschwand sie schnell im Treppenhaus, denn hier würde ihr mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit niemand begegnen. Sie ging hinauf in die dritte Etage. Der Korridor war menschenleer. Julia zog ihren Sicherheitsausweis hastig durch den Schlitz an der Tür. Als sie das vertraute Klicken vernahm, atmete sie erleichtert auf. Dann schritt sie mit erhobenem Kopf und straffen Schultern durch die Tür und den Flur entlang. So, als würde sie immer noch hierhergehören. Einige Anwälte arbeiteten bei geöffneter Tür und sahen von ihren Schreibtischen auf, als Julia an ihren Büros vorüberging. Sie hörte förmlich, wie die Telefon-und DSL-Leitungen um sie herum zu summen begannen und jedem, der noch im Gebäude war, ihre Anwesenheit verkündeten. Der Flur dehnte sich wie Gummi, und eine halbe Ewigkeit schien zu vergehen, bis sie endlich ihr Büro erreichte. Sie trat ein, schioss die Tür hinter sich und lehnte sich atemlos dagegen. Bitte, lieber Gott, lass mich das durchstehen ... Dann lief sie zu ihrem Telefon und schaltete alle Leitungen auf besetzt. Julia sah sich in dem kleinen, vollgestopften Büro um, das über zwei Jahre lang ihr Reich gewesen war. Obwohl sie innerhalb der Staatsanwaltschaft mehrmals die Abteilung gewechselt hatte, war es ihr gelungen, nie umziehen zu müssen. Auf ihrem Schreibtisch stand eine pinkfarbene Geschenktüte.
« Denken Sie daran: Der Boss ist immer ein Arsch», hatte Marisol auf die darangeheftete Karte geschrieben.
« Viel Glück. Ich werde Sie vermissen.» Julia griff in die Tüte und holte ein weißes, mit pinkfarbenen Strasssteinen besetztes T-Shirt hervor. Sie biss sich auf die Lippen. Um sich abzulenken, schaltete sie den kleinen tragbaren Fernseher ein, der auf ihrem Aktenschrank stand. Natürlich ging es auf sämtlichen Kanälen um den Gerichtsprozess. Eine der Geschworenen hatte ein Problem mit ihrem Babysitter gehabt, daher war das Gericht erst um 11 Uhr 30 wieder zusammengetreten. Nach der Unterweisung hatte Farley die Geschworenen um kurz vor zwei in die Beratung entlassen, und da sie erst einmal zu Mittag aßen, hatte sich der Beginn der Beratung auf drei Uhr verschoben. In Anbetracht von Farleys langer Belehrung gingen die Rechtsexperten davon aus, dass die Geschworenen nun erst einmal juristische Formulierungen entwirren, die Zeugenaussagen und ihre eigenen Notizen durchsprechen und dann eine erste Abstimmung durchführen würden, um zu ermitteln, welche Position jeder von ihnen vertrat. Morgen würden sie dann mit der eigentlichen Beratung beginnen, und man nahm an, dass nicht vor Montag mit einem Urteil zu rechnen war. Richter Farley würde sein Schiff verpassen. Sehr gut. Julia fing an, den Inhalt ihrer Schreibtischschubladen in den Karton zu packen, und betrachtete versonnen einige alte Bilder und Briefe, die ihr einmal viel bedeutet hatten. Als draußen auf dem Gang plötzlich aufgeregte Stimmen und dazu Schritte ertönten, sah sie auf und hielt den Atem an. Doch die Schritte hasteten an ihrer Tür vorbei und verhallten. Julia atmete erleichtert aus. Instinktiv schaute sie wieder auf den Fernsehschirm. Die Reporterin von Channel 6 stand im Korridor vor Gerichtssaal 4.10 und sprach aufgeregt in die Kamera, während hinter ihr eine Menschenmenge in den Saal strömte.
« Das kam völlig unerwartet», sagte die Reporterin gerade.
« Richter Farley wartet nur noch darauf, dass David Marquette in den Gerichtssaal gebracht wird, was etwa –» Julia schnappte nach Luft, als in diesem Moment ein Nachrichtenbalken am unteren Bildschirmrand eingeblendet wurde. 
    DIE GESCHWORENEN SIND ZU EINEM URTEIL GEKOMMEN.
KAPITEL 100

JULIA SAH aus dem Fenster. Jeder, der noch im Graham Building gewesen war, eilte nun hinüber zum Gericht. Übertragungswagen säumten die Straße. Die Polizei hatte die I4th Street abgesperrt und war gerade dabei, auch einen Sicherheitsbereich um das Gerichtsgebäude abzuriegeln. Auf der Freitreppe drängten sich aufgeregte Journalisten um Rick Bellido, der versuchte, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen. Rick nahm natürlich nie den Weg durch die Tiefgarage. Und selbstverständlich ließ er auch keine Gelegenheit aus, eine Pressekonferenz zu geben. Während Julia ihn vom Fenster aus beobachtete,
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