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Vater unser

Vater unser

Titel: Vater unser
Autoren: Jilliane Hoffman
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Universität, ihre Anwaltslizenz und ihr erster Amtseid aus dem Jahr 2002, den sie unter Jerry Tigler abgelegt hatte. Für den neuen musste sie noch einen Rahmen kaufen. Daneben befand sich der Pappkarton mit den Habseligkeiten aus ihrem alten Büro. Fotos, Bücher, noch mehr Bilder, eine Uhr, ihr kleiner tragbarer Fernseher und ein Radio. Der Karton stand bereits seit einer Woche dort, und Julia war sich nicht sicher, ob sie ihn überhaupt auspacken würde. Nur ein paar Fotos hatten bisher den Weg auf ihren Schreibtisch gefunden. Eines davon zeigte Andrew, das andere John und sie selbst vor dem Eingang des Yellowstone-Nationalparks. Es erinnerte sie immer daran, wie viel Glück sie gehabt hatte und wie gern sie jeden Abend nach Hause fuhr. John hatte nicht gewollt, dass sie jemals wieder für die Staatsanwaltschaft arbeitete. Das hatte er ihr sofort nach ihrer Rückkehr nach Miami klargemacht. Nun rief er beinahe jede Stunde an und fragte, ob alles in Ordnung sei. Obwohl Rick Bellido schon lange nicht mehr da war – weder er noch Charley Rifkin hatten nach den Wahlen ihre Zukunft in Miami gesehen – , war der Stress der gleiche geblieben. Und obwohl Julia gut auf die Medikamente ansprach, machte sich John Sorgen. Dass sie einen Rückfall erleiden könnte. Dass sie aufhörte, ihre Medikamente zu nehmen. Dass sie zu einem Fall in der negativen Statistik wurde und er ihr das nächste Mal nicht helfen konnte. Dass ihre gemeinsame Zeit begrenzt sein würde. Er hatte sie angefleht, noch einmal darüber nachzudenken, doch sie konnte nicht untätig zu Hause herumsitzen. Wenn sie sich mit dem Gedanken abfand, dass sie krank war – dass sie gestört war oder nicht richtig funktionierte –, würde dieser Gedanke sie von innen heraus zerstören. Und wenn sie am Straßenrand Blumen verkaufte oder als Telefonistin arbeitete, nur um ein stressfreies Leben zu führen, hieße das für sie ebenfalls, dass die Krankheit gewonnen hatte. Selbst Zivilrecht, Steuerrecht oder irgendein anderes Gebiet kam für sie nicht in Frage. Sie wollte wieder zurück zur Staatsanwaltschaft. John hatte vorgeschlagen, in einen anderen Bezirk zu wechseln, und Julia hatte auch darüber ernsthaft nachgedacht – Broward, Palm Beach, vielleicht sogar die Florida Keys. Doch als der neue Generalstaatsanwalt, ein ehemaliger Kollege von John aus dem MiamiDade Police Department, der zuerst Polizist, Anwalt, Staatsanwalt und schließlich Richter geworden war, ihr anbot, nach Miami zurückzukehren, hatte sie angenommen. Jetzt, mit einem Stapel neuer Fälle auf dem Schreibtisch, einem neuen Chef und einer ganzen Reihe neuer Richter, mit denen sie sich erst noch vertraut machen musste, war Julia allerdings nicht mehr so sicher, ob sie die richtige Entscheidung betroffen hatte. Ein paar Minuten später klopfte es an der Tür. Eine schlanke junge Frau trat ein und blieb im Türrahmen stehen, ein Baby luf dem Arm und einen quengelnden kleinen Jungen an der Hand. Julia schnappte nach Luft. Wulstige Narben verunstalteten das Gesicht der Frau. Ihr linkes Auge war vollkommen zugeschwollen.
« Pamela», entfuhr es Julia, bevor die Frau etwas sagen konnte.
« Pamela Johnson!»
« Sie erinnern sich an mich?», fragte die Frau. Julia nickte und stand auf.
« Kommen Sie herein und setzen Sie sich. Hat Letray das getan?», fragte sie und deutete auf das geschwollene Auge.
« Ja», erwiderte Pamela.
« Er ist wieder mal ausgerastet. Wie immer. Aber diesmal war’s schlimmer als sonst. Er wollte mich abmurksen. Hat gesagt, ich wär sogar zu hässlich zum Vögeln, ind jetzt würde er’s zu Ende bringen. Meine Nachbarin hat zum Glück die Bullen gerufen.»
« Wurde er angeklagt?»
« Ja, wegen schwerer Körperverletzung, glaub ich. Er hat mir die Bratpfanne meiner Momma übergezogen.»
« Sitzt er in Untersuchungshaft?»
« Ich hab gehört, dass er gleich auf Kaution wieder rausgekommen ist. Ich wohn jetzt bei meiner Schwester, aber wenn er mich findet, muss ich da auch wieder weg.»
« Ihr Fall wird von einer anderen Staatsanwältin verhandelt, Pamela. Ihr Name ist Gina –» Pamela schüttelte den Kopf.
« Ich hab darüber nachgedacht, was Sie letztes Mal gesagt haben. Sie wissen schon, das letzte Mal, als Letray so ausgerastet ist.» Sie zögerte.
« Wegen Ihnen saß er im Gefängnis.»
« Aber Sie haben mir nicht geholfen, deswegen ist er wieder rausgekommen, Pamela.»
« Ich weiß, ich weiß», erwiderte Pamela. Tränen stiegen ihr in die Augen.
« Naja, aber Sie sind die
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