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Vater unser

Vater unser

Titel: Vater unser
Autoren: Jilliane Hoffman
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Anwesenden.
« Und jetzt lassen Sie uns die Sache zu Ende bringen», brummte er.
« Ich habe nicht vor, mich diesem Rummel noch einen weiteren Tag auszusetzen.» Er wies Jefferson mit einer Handbewegung an, die Geschworenen aus dem Saal zu geleiten. Seiner Miene war deutlich anzusehen, dass er mit ihnen und ihrem Urteil nicht sonderlich zufrieden war.
« Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre Dienste», sagte er barsch.
« Sie werden hier nicht mehr gebraucht. Mr. Jefferson wird Sie nun hinausbegleiten. Wenn Sie mit der Presse reden wollen, dann tun Sie das. Wenn nicht, können Sie im Beratungszimmer warten. Man wird Sie dann später zu Ihren Autos bringen. Wann das sein wird, kann ich allerdings nicht sagen.» Als Jefferson die Geschworenen hinausführte, bemerkte Julia, dass einige der Männer und Frauen einen zögerlichen letzten Blick hinüber zum Tisch der Verteidigung warfen. Sie wusste, was dieser Blick zu bedeuten hatte, sie hatte ihn schon häufiger gesehen, wenn auch nicht in einem Gerichtssaal. Es war der Blick, mit dem Passanten den zerlumpten, wirr redenden Obdachlosen an der Straßenecke ansahen, dem sie gerade einen Dollar gegeben hatten. Es war ein Blick voller Mitleid. Voller Geringschätzung. Und voller unverkennbarer Angst. Aber in diesem Blick flackerte auch noch etwas anderes auf. Während sich die Geschworenen in die Sicherheit des Beratungszimmers zurückzogen, erkannte Julia in ihren Blicken selbstgerechten Stolz. Stolz auf ihre eigene Großzügigkeit und auf das Verständnis, das sie gezeigt hatten. Sobald die Geschworenen gegangen waren, wandte sich Richter Farley an David Marquette:
« Mr. Marquette, die Geschworenen haben Sie in allen vier Anklagepunkten für nicht schuldig wegen Unzurechnungsfähigkeit befunden. Ich denke, wir alle stimmen aufgrund der Beweislage überein – Mr. Levenson? Mr. Bellido? –, dass Sie in der Tat geisteskrank sind und darüber hinaus eine Gefahr für sich selbst und andere darstellen. Können wir daher auf eine diesbezügliche Anhörung verzichten, meine Herren?»
« Ja, Euer Ehren», erklärte Mel Levenson sichtlich ergriffen. Offenbar hatte nicht einmal er mit diesem Urteil gerechnet. Ricks
« Ja» hingegen war beinahe nicht zu hören.
« Gemäß Paragraph 916.15 des Gesetzbuches für den Bundesstaat Florida und gemäß den entsprechenden Absätzen der Prozessordnung», fuhr der Richter schnell fort, « befinde ich, dass David Marquette die Voraussetzungen für die Einweisung in eine geschlossene Anstalt erfüllt, und überstelle ihn dem Familienamt. Das Amt wird entscheiden, in welcher Anstalt er behandelt werden soll, aber die Zuständigkeit verbleibt weiterhin bei diesem Gericht. Ivonne, vermerken Sie, dass in sechs Monaten ein Beurteilungstermin ansteht. An diesem Termin werde ich mir die Berichte über die Fortschritte Ihres Mandanten ansehen, Mr. Levenson, und dann entscheiden, wie es weitergeht. Das wäre alles, meine Damen und Herren. Die Verhandlung ist geschlossen.» Richter Farley stürmte mit wehender Robe aus dem Saal, ohne Julia oder irgendwen sonst noch eines Blickes zu würdigen. Lat führte Julia am Ellbogen in Richtung Ausgang. Zwar drangen die Reporter nun, da Farley gegangen war, wieder mit Fragen auf sie ein, doch die Menge lichtete sich. Einige Journalisten hetzten hinaus, um die Geschworenen abzufangen, andere jagten Rick Bellido nach, der den Saal offenbar gleich nach dem Richter durch den Hinterausgang verlassen hatte. Julia sah sich noch ein letztes Mal in dem Raum um, in dem ihre Karriere so abrupt geendet hatte. Sie mochte gar nicht daran denken, dass sie womöglich nie wieder einen Gerichtssaal betreten würde. Am Tisch der Verteidigung ließ sich David Marquette geduldig Handschellen und Fußfesseln anlegen. Julia beobachtete ihn eine Sekunde lang. Er stand mit hängenden Schultern da, während die verbliebenen Zuschauer aufgeregt über ihn redeten und immer noch Kameras auf ihn gerichtet waren. Die Situation erinnerte Julia an eine Szene aus King Kong – daran, wie der betäubte und in Ketten gelegte Kong in einer bombastischen, geschmacklosen Show dem sensationslüsternen Publikum vorgeführt wird. Sie wollte sich angewidert abwenden, doch da hob David Marquette plötzlich den Kopf und sah sich um. Vielleicht suchte er nach seinem Vater. Oder nach seiner Mutter. Vielleicht suchte er ja sogar nach ihr. Aus welchem Grund auch immer, plötzlich bohrten sich seine gespenstischen hellgrauen Augen wieder in die ihren,
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