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Vaclav und Lena

Vaclav und Lena

Titel: Vaclav und Lena
Autoren: Haley Tanner
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Vaclav vergessen hat, und sie will gerade aus der Tür laufen, um sie ihm hinterherzutragen, als sie die Wörter »Eltern« und dann »Zaubershow« entdeckt und innehält. Sie liest seine Liste, all die Gründe, warum sie ihm die Zaubershow erlauben sollten.
    Sie möchte, dass er mit der ewigen Zauberei aufhört. Aber sie versteht ihn auch.
    Sie haben auf die Ausreise nach Amerika lange gewaret. Sie hat lange gewartet, bevor sie schwanger wurde, weil alles so schrecklich war, und dann war Glasnost, und gerade als Rasia |35| dachte, alles würde nun besser werden, wurde alles noch schlimmer, und alles ging endgültig den Bach hinunter.
    Als sie mit Vaclav im achten Monat schwanger war, stand sie Schlange für einen Platz auf einer Auswanderungsliste nach Amerika. Oleg hatte eine gute Stelle als Architekt, er wollte nicht weg, aber er sagte, wenn sie unbedingt Schlange stehen wolle und ihre Namen damit auf eine Liste kämen, sei das auch in Ordnung. Sie machte es sich nicht klar, weil sie noch so jung und noch verliebt war, aber er war schon damals derselbe, der er jetzt ist, sein Tuchis, sein Arsch, bleibt an jedem Stuhl kleben, auf den er sich setzt, egal wie unbequem.
    Man sagte ihr, die Zahl russischer Juden, die Amerika aufnehmen würde, sei beschränkt, es könne Jahre dauern. Man sagte ihr, wenn sie in ein anderes Land wolle, dann könne man sie schon gleich in der nächsten Woche in ein Flugzeug setzen. Sie sagte, danke, sie werde warten. Vaclav wurde geboren, und Oleg verlor genau wie alle anderen seinen Job, und es kam, wie sie es vorausgesehen hatte. Er war ein frischgebackener Vater, der die Windeln für seinen Sohn nicht bezahlen konnte, und er ging jeden Tag aus, um mit den anderen Männern zu jammern. Er kam mit einer Wodkafahne nach Hause, aber Rasia glaubte, wenn sie ihn nur aus dem Land hätte, wenn sie nach Amerika gehen könnten, würde alles wieder in Ordnung kommen und er wäre wieder liebenswürdig und zu Witzen aufgelegt.
    Die Wirtschaftslage verschlimmerte sich, und Vaclav wurde größer, und sie warteten weiter. In der Zwischenzeit kaufte sie Bücher und Kassetten und lernte Englisch und brachte es Vaclav bei. Sie wollte nicht, dass er wie sie Angst hatte, seine Heimat zu verlassen, sie wollte, dass er sich darauf freute, ein |36| Amerikaner zu werden. Auf dem Schwarzmarkt bezahlte sie ein kleines Vermögen für englische Kinderbücher über berühmte Amerikaner, Abraham Lincoln, Rosa Parks, George Washington Carver und Molly Pitcher, aber sein Lieblingsbuch, aus dem sie ihm immer wieder vorlesen musste, jeden Abend, handelte von Harry Houdini.
    Vaclav mochte besonders den Teil, wo Houdini nach Amerika kam, als er vier Jahre alt war, genau wie Vaclav, wie er Amerikas berühmtester Zauberer wurde, wie er Präsident Theodore Roosevelt mit seiner Zauberkunst verblüffte und auf der Weltausstellung auftrat, wie er aus schweren Ketten entkam und in Handschellen von einer Brücke sprang. Er hatte die Stellen gern, in denen beschrieben wurde, wie Houdini sich mit seiner Zaubervorführung abmühte, wie er probte und nie aufgab.
    Dieser Mensch Houdini, dachte Rasia, hat seine Mutter wahrscheinlich früh ins Grab gebracht, indem er sie mit all seinen todesmutigen Kunststücken und seiner Chinesischen Wasserfolter in Schrecken versetzte, und er war eigentlich nicht unbedingt jemand, für den Vaclav sich dermaßen interessieren sollte. Aber Vaclav wollte eine Geschichte über einen kleinen Jungen hören, der nach Amerika auswanderte und ein großer, tapferer Magier wurde, und das verstand sie.
    Jeden Abend las sie Vaclav aus dem Kinderbuch über Houdini vor, bis er jedes Wort kannte. Als sie schließlich ihre Papiere bekamen und Rasia Vaclav sagte, dass sie nach Amerika ziehen würden, wusste er bereits alles über ihren zukünftigen Wohnort: Brooklyn, Coney Island, wo Harry Houdini seine erste Zaubershow aufführte. Es war der reine Zufall, dass Rasia jemanden kannte, der in Brighton Beach lebte und ihr einen guten Job als |37| Buchhalterin anbot und ihnen half, ein Heim zu finden, aber für Vaclav war es ein Zeichen.
    Olegs Situation hatte sich seit ihrer Ankunft in Amerika verschlimmert. Er hatte nicht die Zulassung, um als Architekt in Amerika zu arbeiten. Er hätte Kurse besuchen und Prüfungen machen müssen, um nachzuweisen, dass ihm alles schon bekannt war. Er sagte ihr, er werde Taxi fahren, bis er dafür zahlen könne, aber alles, was er an Geld ausgab, war für die Satellitenanlage auf dem Dach
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