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Marie ... : Historischer Roman (German Edition)

Marie ... : Historischer Roman (German Edition)

Titel: Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Helene Luise Köppel
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    „Marie, steh auf, wie bist du träge,
    die heitere Lerche hat am Himmel schon geträllert!“
Pierre de Ronsard

    Als ich Bérenger Saunière kennenlernte, den Mann, der mich reich und selig machen würde, der mich zur Mitwisserin eines unbegreiflichen Geheimnisses werden und in Sünde verstricken lassen sollte, war ich gerade achtzehn Jahre alt.
    Es war der erste schöne Frühlingstag im März des Jahres 1886, als ich freudigen und zugleich bangen Herzens die holprige, gewundene Straße hinaufstieg, die zum Dorf Rennes-le-Château führt. Die Vögel zwitscherten um die Wette, und die Sonne meinte es so gut mit mir, dass ich an einer Biegung innehielt, um meinen Strohhut mit dem kleinen Veilchenstrauß aufzusetzen, den ich zuoberst auf den Korb gepackt hatte. „Die Veilchen“, so hatte mir die Trussaut in einem ihrer seltenen guten Augenblicke gesagt, „die Veilchen passen hervorragend zu deinen Augen und deinem schwarzroten Haar, Marie!“ Und sie hat recht gehabt, mir hatte selbst gefallen, was ich da im einzigen, fast blinden Spiegel meines Elternhauses sah. Welches Mädchen ist in diesem Alter nicht ein wenig eitel?
    Für eine kleine Weile blieb ich stehen, um zu verschnaufen. Wunderschön lagen dort unten im Tal die Dörfer, und ich beobachtete fasziniert, wie sie - noch eben vom Morgennebel eingehüllt - nach und nach von der Sonne entdeckt wurden. Die umliegenden Corbières-Berge mit ihren unzähligen Höhlen, und vor allem der mächtige Bugarach, hatten seit je meine Neugierde geweckt, wenngleich ich mit der Kletterei nicht so viel im Sinn hatte wie Barthélémy, mein Bruder. Er kannte jeden Stein, jede verborgene Quelle, Höhle oder Grotte - und die beste Methode, Grillen zu fangen! Ab und zu hatte er mich auf seine Exkursionen mitgenommen. Zum Teufelssessel beispielsweise, in der Nähe von Rennes-les-Bains, und zu jenem flachen abgelegenen Stein, den man im Volksmund die „Hand des Teufels“ nennt.
    Der Teufel, ja! In unserer Gegend pflegt man ihm zu Ehren ein wenig abergläubisch zu sein. Fast alle Frauen hängen sich in gewissen hellen Mondnächten dicke goldfarbene Ginsterbüschel in ihre Fenster, um damit den Bösen abzuwehren. Nun, mir haben sie wirklich nicht geholfen, die gelben Büschel, die ich später trotz Saunières Verbot heimlich in den Dachboden gehängt habe, Jahr für Jahr. Der Teufel ist dennoch gekommen nach Rennes-le-Château. Der Priester selbst war es, der ihn geholt hat.
    Doch ich wollte der Reihe nach erzählen.

    Die rote Erde rechts und links des Weges dampfte. Ein gutes Omen, dachte ich bei mir, den Korb mit meinen Habseligkeiten, der mir zunehmend schwerer geworden war, ein wenig zurechtrückend. Am ersten schönen Frühlingstag eine neue Stellung anzutreten, das musste ganz einfach gelingen! An die Trussaut jedenfalls, die mich drei Jahre lang so schikaniert hatte, verschwendete ich trotz der Veilchen auf meinem Hut keinen Gedanken mehr, als ich endlich das kleine Bergdorf erreichte, das mir an diesem Tag zwar in seiner verträumten Schlichtheit erneut ein wenig verwunschen, aber durchaus nicht abweisend vorkam. Schon konnte ich die Umrisse der alten Burganlage von Rennes-le-Château erkennen. Die mächtigen Eichen, die vor den halb zerfallenen, teilweise mit Moos und Efeu bewachsenen Gemäuern und Türmen stehen, fingen gerade an, vorsichtig auszutreiben. Man könne nicht wissen, ob die Bäume die alte Burg beschützten oder umgekehrt, meinte Bérenger Saunière später einmal über sie auf einer unserer heimlichen Unternehmungen.

    Eine friedliche, fast schläfrige Stille lag über dem Ort. Töpfeklappern aus einem alten Sandsteinhaus zu meiner Rechten. Auf einem verwitterten Fenstersims eine träge schnurrende rotbraune Katze, daneben eine einzelne rote Geranie im Tontopf, vor der Zeit erblüht. Durch die schmale Straße, die noch immer steil bergan führte, zog ein anheimelnder Duft von Knoblauch.
    Wo nur war die Kirche? Ich konnte nirgends einen Turm sehen. Seltsam, dachte ich bei mir. Seltsam.
    Weiter stieg ich in der zunehmenden Hitze hinauf, spähte einmal in diese und kurz darauf in eine andere Gasse. Überall nur Hühner, Enten und Misthaufen. Aufgeregt schlug ein großer Köter an, als ich an seinem Gehöft vorüberging. Mit all seiner Kraft sprang er von innen an die Hoftür. Da - ein geblümter Küchenvorhang wurde ein Stück zur Seite geschoben, und neugierige Augen spähten heraus. Ich hoffte, dass jemand das Fenster öffnen würde und mir den Weg
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