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Vaclav und Lena

Vaclav und Lena

Titel: Vaclav und Lena
Autoren: Haley Tanner
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Fundament für seine Pläne zu legen.
    Mit besonderer Sorgfalt kämmt Vaclav sein Haar, steckt sein Hemd in die Hose und zieht sich so für die Schule an, dass es seiner Mutter gefallen wird. Auf Zehenspitzen geht er in die Küche und deckt, ohne Licht anzumachen, lautlos den Tisch. Er füllt sogar den Teekessel, stellt ihn auf den Herd und zündet vorsichtig das Gas an. Seine Mutter hat ihm erklärt, dass Gas auch dann ausströmt, wenn man den Knopf am Herd ohne |32| Feuer aufdreht, und dass dann das Haus explodieren kann wie in Tschernobyl. Also achtet er darauf, dass das Hissen des Gases auf das Schnapp-Schnapp des Funkens trifft, um das Teewasser zu erhitzen. Vaclav schneidet auch das Brot in Scheiben und macht Toast, arrangiert den Toast appetitlich auf Tellern und stellt die Lieblingsmarmelade seiner Mutter auf den Tisch. Dann setzt Vaclav sich hin und wartet.
    Er kann den Wecker im Zimmer seiner Eltern läuten hören, dann das Herumklappern seiner Mutter im Bad und schließlich seinen Vater mit seinem morgendlichen Husten, und daher weiß Vaclav, dass er nun nicht mehr lange warten muss.
    Als Rasia die Küche betritt, nimmt ihr Blick alles sofort wahr. Vaclav kann sehen, wie sie alles registriert, und er kann sehen, wie sie zu lächeln beginnt. Aber ihr Lächeln ist von Anfang an die falsche Sorte Lächeln. Es ist kein glückliches Lächeln, es ist ein nervöses Lächeln, ein Lächeln, das sich nur in die Breite zieht, anstatt die Mundwinkel nach oben zu bewegen.
    »Vaclav, wir müssen darüber reden, was sich im Badezimmer abspielt«, sagt sie.
    Auch wenn Vaclav nicht weiß, was er gemacht hat, ist er sich doch sicher, dass er etwas falsch gemacht hat. Er fühlt sich plötzlich verlegen und ängstlich, weil Rasia ihn anstarrt und nervös aussieht, und das ist nicht gut.
    »Ich weiß jetzt Bescheid über deine Zeit im Bad«, sagt sie, bemüht, locker und freundlich zu klingen. Sie möchte ein offenes, hilfreiches Gespräch mit ihrem Sohn, denn alle raten dazu, mit den Kids über diese Dinge zu sprechen, damit es nichts Vertuschtes und keine Scham gibt. Sie will warmherzig klingen, unvoreingenommen, aber direkt. Wie Oprah.
    |33| »Du gehst da mitten in der Nacht rein, damit niemand was mitkriegt? Passiert das jede Nacht?« Rasia spürt, dass sie nicht wie Oprah klingt.
    Vaclav weiß nun, worüber sie spricht, und er weiß auch, dass er das in der Badewanne nicht gemacht hat. Als sein Vater ins Bad kam und er seinen Pimmel mit der Hand bedeckte, weil es ihm peinlich war, dass sein Vater ihn sah, hat sein Vater offenbar gedacht, er würde sich da in der Wanne mit der Hand befriedigen. Vaclav weiß davon aus Gesprächen mit den Jungen von der Schule, die darüber von ihren älteren Brüdern oder aus dem Fernseher zu Hause schon gut Bescheid wissen.
    Rasia atmet tief durch und versucht es noch einmal.
    »Wo hast du das gelernt?« Sie hat noch immer vor, dieses Gespräch angenehm zu gestalten, aber es kommt alles falsch raus, und sie hört sich an wie ein KG B-Kommandant und nicht wie eine gelassene amerikanische Mutter. Sie möchte nicht dasselbe fürchterliche Gespräch haben, wie sie es mit ihrer Mutter hatte. Sie möchte nicht, dass Vaclav in dem Glauben aufwächst, dass der Pimmel, wenn man sich berührt oder nur ein wenig kratzt, weil es einen juckt, verfault und auf den Boden fällt und schrumpelt wie eine alte Kartoffel.
    Vaclav weiß, egal, was er nun sagt, sie wird ihm nicht glauben, und wenn er mit ihr streitet, wird sie nur umso mehr darüber sprechen und weitere Fragen stellen, und er wird vor Scham in den Boden versinken. Wenn er es aber rundheraus abstreitet, wird sie glauben, dass er sich nachts in der Badewanne befriedige und obendrein auch noch lüge. Vaclav weiß, es ist das Beste, einfach dazustehen, den Mund zu halten und sich nicht zu rühren.
    |34| »Vaclav, darüber kann man ruhig reden, du kannst es mir sagen.«
    »Okay«, sagt Vaclav, greift seinen Rucksack und stürzt zur Tür, ohne überhaupt das Thema der Erlaubnis für die Show in Coney Island anzuschneiden.
    »Einen schönen Schultag!«, ruft sie ihm nach, dankbar für seine Flucht.
    Berühmte Vorbilder
    Erst nachdem Vaclav aus dem Haus gelaufen ist, wird Rasia bewusst, dass er Toast für sie gemacht, den Tisch schön gedeckt, ihre Lieblingsmarmelade hingestellt und sogar Wasser für den Tee gekocht hat. Rasia dreht den Herd aus und setzt sich an den Tisch. Zuerst ist sie in Panik, weil sie glaubt, die Liste sei die Hausaufgabe, die
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