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Vaclav und Lena

Vaclav und Lena

Titel: Vaclav und Lena
Autoren: Haley Tanner
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für die Eltern zur Förderung der Erlaubnis einer Zaubershow auf der Promenade in Coney Island.
Reinigung der Zimmer
Erledigung kleiner Aufgaben
Tisch decken
Hausaufgaben machen
|29| Erreichen des Klassenziels
Außerschulische Leistungen
Hingabe an die Magierkarriere
    Vaclav legt den Bleistift in sein Mäppchen zurück und ist so weit zufrieden mit seiner Liste. Danach tappt er leise ins Badezimmer, um sich die Zähne zu putzen, ganz vorsichtig, um nicht seine schnarchende Mutter und seinen schnarchenden Vater aufzuwecken.
    Vaclav lässt ein Schaumbad ein, ein Schaumbad ist nämlich der Ort, wo er vortrefflich über seine Zauberei nachdenken kann. Er legt sich in der Wanne zurück, taucht nur bis zu den Ohren unter und lauscht durch das Wasser hindurch den Geräuschen in seinem Körper und im Hause. Sein Herzschlag gleicht dem dumpfen Poltern von etwas zu Schwerem und Hartem in Mrs.   Ruvinovas Wäschetrockner ein Stockwerk höher. Das Gluckern in seinem Bauch gleicht dem Gluckern der Rohre in den Wänden.
    Vaclav schließt die Augen, und das Rauschen in seinen Ohren ist das Rauschen einer erregten Menge. Er ist kräftig und hochgewachsen, er ist ein Mann geworden. Er trägt einen Smoking, der im Rampenlicht schwarz und blau glitzert. Hinter ihm hebt sich ein Vorhang und zeigt Lena im zukünftigen Körper einer Erwachsenen, die für die Nummer des Messerwerfens an ein sich drehendes Rad geschnallt ist. Das Publikum schnappt nach Luft. Scheinbar aus dem Nichts greift sich Vaclav eine Handvoll scharfer Messer. Diese fächert er auf wie Spielkarten und hält sie dem Publikum hin, um die Angst zu steigern. Um die Schärfe und Echtheit der Messer zu demonstrieren, durchtrennt er |30| den Vorhang hinter sich mit einem Schnitt. Und um dem Publikum den Schrecken einer solchen Klinge vor Augen zu führen, wenn sie Lenas schöne Haut durchsticht, wirft er eine Tomate in die Luft und halbiert sie. Lena, sich auf dem Rad drehend, schaut furchtsam, fürchtet sich aber nicht wirklich. Sie vertraut Vaclav in diesem Augenblick völlig, vertraut auf seine Präzision, seine Perfektion, die sie in vielen Jahren gemeinsamen Probens erlangt haben.
    Dennoch ist sie ganz und gar auf jedes Muskelzucken von Vaclav eingestellt, auf jedes Augenblinzeln. Sogar auf unsichtbare Signale, die er ihr vielleicht per Gedanken sendet und auf die sie horcht, wie ein Radio die stummen Lieder in der Luft vernimmt.
    Lautes Klopfen an der Badezimmertür.
    Oleg muss morgens oft plötzlich pinkeln, weil große Gläser Wodka im Pinkelbauch eines Fünfzigjährigen keine Ruhe geben.
    Vaclav sagt seinem Vater immer wieder, das englische Wort dafür ist
bladder
, und sein Vater erwidert darauf immer, dass er nicht den ganzen langen Weg aus Russland gekommen sei, um neue Wörter für Pinkeln und Scheißen zu lernen. Er ist aus Russland gekommen, sagt er immer wieder zu Vaclav, damit Vaclav lernt, über Aktien und Dollars und amerikanisches Business Bescheid zu wissen und seinem Papa eines Tages einen Whirlpool voll mit amerikanischen Hooters-Kellnerinnen zu kaufen.
    Vaclav zieht sich aus der Wanne hoch und setzt einen tropfenden Fuß auf die Badematte. Die eine tropfende Hand öffnet die Tür und die andere tropfende Hand bedeckt seinen Ihr-wisst-schon-was, damit sein Papa sich nicht lustig macht.
    |31| Sobald die Tür aufgeschlossen ist, platzt Oleg hinein, ohne dem glitschigen Vaclav Zeit zu lassen, in den Schutz von Seifenblasen und Wasser zurückzugleiten. Er sieht, wie sein Sohn das hält, was er nicht halten sollte, und bricht in lautes Gelächter aus.
    Vaclav platscht in die Wanne zurück und sinkt unter, während Oleg, stöhnend vor Erleichterung, pinkelt. Vaclav taucht den Kopf unter Wasser, um sich vor dem gelben Geruch zu verbergen, der überall in dem Dampf ist.
    Oleg hört mit dem Pinkeln auf und steckt alles in die Pyjamahose zurück. Dann sieht er auf die Badewanne, sieht auf seinen im Wasser untergetauchten Sohn, seine zusammengepressten Augen. Oleg grummelt und verlässt das Bad, schließt die Tür jedoch nicht.
    Es ist für Vaclav nicht leicht, zu seiner Zukunftsvision zurückzukehren, aber er hat diese Vision ständig im Hinterkopf, sodass sein Traum nie fern von ihm ist.
    Er trocknet sich ab und hüllt sich in ein großes Badetuch, tappt auf den Korridor hinaus, langsam, lauschend und witternd. Sein Vater ist bereits wieder eingeschlafen. Er kann seine Eltern im Schlafzimmer zusammen schnarchen hören. Das ist gut. Er wird Zeit haben, das
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