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Unterm Kirschbaum

Unterm Kirschbaum

Titel: Unterm Kirschbaum
Autoren: Horst Bosetzky
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gehasst. Richte nicht, auf dass du nicht gerichtet wirst.«
    »Bleibt noch Wiederschein«, sagte Orlando.
    Mannhardt stöhnte. »Schneeganß ist total am Boden zerstört, dass er sich abgesetzt hat, ohne dass wir’s verhindern konnten.«
    »Dass Wiederschein der Mörder ist, daran kann ja nun kein Zweifel mehr bestehen«, sagte Orlando. »Er wird geahnt haben, dass seine Frau in ihrem Abschiedsbrief alles zugegeben hat.«
    Mannhardt nickte. »Hundertprozentig. Damit ist Klütz ein für alle Mal exkulpiert.«

     
    *

     
    Klütz’ Zelle stand offen, und Margrit Minder-Cerkez brauchte nicht extra einen Schließer anzufordern, um ihn sprechen zu können. Sie nahm keine Rücksicht mehr darauf, dass ihr dies im Dienst strikt untersagt war, und umarmte ihn lange.
    »Du bist ja theoretisch schon ein freier Mann, aber ehe die juristischen Mühlen mit dem Mahlen fertig sind und du ganz formal entlassen wirst, werden wohl noch ein paar Tage vergehen.«
    »Dann feiern wir meine Wiedergeburt …«
    »Und meine auch.« Sie hatte die Scheidung eingereicht. »Wenn ich so bedenke, wie wir zueinandergefunden haben. Da könnte ich fast wieder in die Kirche eintreten: Die Wege des Herrn … Wie gar unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege!«
    »Ich werde jetzt meinen Trainerschein machen und mich langsam hocharbeiten. In zehn Jahren bin ich mit meinem Verein in der ersten Bundesliga!«

     
    *

     
    Rainer Wiederschein war bereits seit drei Tagen auf der Flucht. Nur gut, dass es Sommer war, da konnte er ohne Probleme im Wald übernachten, aber auch in leer stehenden Lauben und Zelten, die nur am Wochenende benutzt wurden. Eine Großfahndung wie beim Ausbruch eines gefährlichen Serientäters war in seinem Falle nicht ausgelöst worden. Was sollte er noch groß anstellen?
    »Eine schöne Scheiße!« Wiederschein fluchte pausenlos vor sich hin. Natürlich hätte er von vornherein wissen müssen, dass Angela mit dem Druck nicht fertig werden würde. Hatte er aber nicht, und so war er heilfroh gewesen, dass sie sich nach Indien abgesetzt hatte. Leider ja vergebens. Und dann auch noch dieser symbolische Akt, sich ausgerechnet im Keller der Frohnauer Villa umzubringen! Klar, als Schauspielerin konnte man nicht anders, als theatralisch zu sein. Und mit ihrem Abschiedsbrief hatte sie ihm 15 Jahre Knast verschaffen wollen, wenn nicht gar lebenslänglich. Ihre späte Rache, weil er ihr Leben verpfuscht hatte. »Diese blöde Kuh mit ihrer scheiß Reue!« Dafür, dass sie dieses Schwein von Schulz aus der Welt geschafft hatten, hätten sie das Bundesverdienstkreuz kriegen müssen! Dass das irgendwie verwerflich sein sollte, konnte er beim besten Willen nicht erkennen.
    Von Frohnau aus war er auf einem gestohlenen Fahrrad Richtung Birkenwerder geflüchtet und hatte sich zunächst in den Wäldern des Briesetals versteckt, bis er weiter Richtung Osten gezogen war. Ein erster Plan war schnell gefasst: irgendwie über Polen und Weißrussland in den Wilden Osten, um dort unterzutauchen. In Kasachstan oder Aserbaidschan würde ihn so schnell keiner finden. Dann konnte man immer noch weitersehen. Er war ein erfahrener Globetrotter. Aber erst einmal musste er durch das deutsch-polnische Grenzgebiet hindurch, und dort fuhren viele Streifen umher, seit Polen ein Schengenland war und man an der Oder-Neiße-Grenze nicht mehr kontrolliert wurde. Das Beste war, sich Zeit zu lassen.
    Wen er hasste, war aber nicht Angela, das war Mannhardt. »Dieses verdammte Arschloch!« Wenn der die Sache mit Klütz nicht wieder aufgerührt hätte, dann … »Ich knall das Schwein ab, wenn ich es noch mal sehen sollte«, schwor sich Wiederschein. Eine Pistole konnte er sich schnell beschaffen. Ein bisschen Geld hatte er bei sich.
    Schlecht war es auch nicht, wenn er sich irgendwo einen Wagen klaute, um ein bisschen schneller an der Oder zu sein.

     
    *

     
    Mannhardt und sein Enkel saßen bei Freddie und Gudrun im Biergarten und warteten auf Wiederschein. Dichtes Gebüsch verhinderte, dass man sie von der Straße aus erkennen konnte.
    »Links haben wir einen Kirsch- und rechts einen Birnbaum«, sagte Orlando. »Was soll da noch schiefgehen?«
    Mannhardt stimmte ihm zu. »Nichts, denn Fontane führt ja Regie. In Letschin gleich Tschechin schließt sich der Kreis. Wiederschein wird hier auftauchen und zusehen, dass er bei Freddie und Gudrun so lange bleiben kann, bis es weniger gefährlich ist, nach Polen zu gehen.«
    Als sei das nicht selbstironisch
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