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Unterm Kirschbaum

Unterm Kirschbaum

Titel: Unterm Kirschbaum
Autoren: Horst Bosetzky
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genug gewesen, fügte Orlando hinzu, dass Wiederschein gar nichts weiter übrig bliebe, als diesen Schritt zu tun, denn schließlich sei Szulski Pole gewesen.
    Mannhardt nahm den Roman, den sein Enkel mitgebracht hatte, und blätterte so lange darin, bis er im Nachwort von Helmuth Nürnberger die gesuchte Passage gefunden hatte, in der von Fontanes Prädestinationsgläubigkeit die Rede war: »In ähnlicher Weise wie in ›Ellernklipp‹, wo der Täter an eben der Stelle den Tod findet, wo er den Sohnesmord verübte, und wie in ›Quitt‹, wo Mehnert Lenz (der fast mehr in Notwehr als in verbrecherischer Absicht gehandelt hat) auf dieselbe Weise stirbt wie sein Opfer, ereilt Hradschek sein Schicksal dort, wo er den Ermordeten vergraben hat: Das Gesetz erfüllt sich mit einer Folgerichtigkeit, die kein Ausweichen erlaubt.«
    »Ach, Opa!«, rief Orlando mit liebevollem Spott. »Dann hätte es sich doch in Frohnau erfüllen müssen, aber da lag seine Frau tot im Keller und nicht er.«
    »Ja, darum wird es auch der Keller hier in Kienitz sein.«
    »Da kannst du lange warten.«
    »Und wenn! Wir übernachten hier.«
    Aber auch die Nacht über passierte nichts, und als sie morgens am Frühstückstisch saßen, waren sie todmüde, denn Freddie und Gudrun trauten sie nicht recht, und so hatte immer einer von ihnen Wache gehalten.
    »Ganz schön albern«, sagte Orlando und köpfte sein weich gekochtes Ei.
    »Mit fremden Augen gesehen sind alle Hobbys albern«, wandte Mannhardt ein.
    »Lass uns nach Hause fahren«, sagte Orlando. »Der Zweck deiner Intervention ist doch erreicht: Klütz ist gerettet. Wiederschein zu jagen, ist Sache deiner Kollegen, die noch nicht a. D. sind.«
    Auf dieses Stichwort schien Gunnar Schneeganß nur gewartet zu haben, denn als Mannhardts Handy dudelte, war es nicht Heike, sondern der Kollege aus der Keithstraße in Berlin.
    »Wo steckst du denn gerade?«, fragte Schneeganß.
    »Hier in Kienitz an der Oder.«
    »Und dann hast du es nicht klatschen gehört?«
    Mannhardt konnte Schneeganß nicht folgen. »Wer soll hier geklatscht haben? Hier ist kein Theater, und Platzeck ist auch nicht dabei, mit seinem Kaugummi den Deich abzudichten und die Dörfer z u retten.« Das bezog sich auf den brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck, der sich im Sommer 1997 bei der Bekämpfung des Oderhochwassers große Verdienste erworben hatte.
    Schneeganß rang die Hände. »Mensch, hast du nicht gehört, wie Wiederschein mit seinem Fluchtauto ins Wasser geklatscht ist!«
    Mannhardt konnte es nicht fassen. »Wie, hier in Kienitz?«
    »Nein, aber nahebei, Güstebieser Loose. Die Brandenburger hätten ihn fast gehabt, aber nun ist er wieder auf und davon. Möglicherweise in der Oder ertrunken.«
    »Nein, bestimmt nicht, Szulski ist ja auch nicht in der Oder ertrunken.«
    »Ja. Tschüss dann! Und haltet mal die Augen offen.«
    Das machten sie, aber sie bekamen Rainer Wiederschein weder an diesem noch an den nächsten Tagen zu sehen. Was blieb ihnen übrig, als wieder nach Berlin zurückzukehren und die Sache zu vergessen.
    Erst als es auf Weihnachten zuging, wurde Wiederschein wieder zum Thema, denn Schneeganß schickte Mannhardt eine E-Mail, in der zu lesen stand, dass man den Gesuchten im Grenzgebiet zwischen Kolumbien, Venezuela und Ecuador entdeckt habe. Er stecke in einem Camp der Guerilleros und betätige sich dort als Koch.
    »Ah, die Filiale des ›à la world-carte‹ in Südamerika«, sagte Heike.
    »Na, Opa, war wohl doch nichts mit deiner Hypothese, dass alles nur ein posthum geschriebener Roman Fontanes ist, ein Remake, eine Paraphrase von ›Unterm Birnbaum‹. Nichts da mit Fontane führt Regie.«
    »Doch«, sagte Mannhardt. »Doch. Nur hat er sich beim Ende diesmal für das Muster ›Quitt‹ entschieden. Der Protagonist dort heißt Lehnert Menz, bringt im preußischen Teil des Riesengebirges den Förster Opitz um, einen ähnlichen Kotzbrocken wie Schulz, und flüchtet in die USA , in die Indianergebiete von Kansas. Dort stirbt er dann denselben Tod, den Opitz gestorben ist.«
    »Meinst du, sie haben da im kolumbianischen Urwald ein Sofakissen, mit dem sie Wiederschein ersticken können?«, fragte Orlando.
    »Wo ein Wille ist, ist auch ein Sofakissen«, sagte Heike, als Mannhardt so schnell keine spritzige Antwort einfallen wollte. »Aber was sagt denn Fontane dazu?«
    »Der sagt …« Da musste Mannhardt nicht lange nachdenken: »Je älter ich werde, je mehr sehe ich ein: laufen lassen. Wo
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