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Unterm Kirschbaum

Unterm Kirschbaum

Titel: Unterm Kirschbaum
Autoren: Horst Bosetzky
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Ostersonntag ist immer der erste Sonntag nach dem ersten Vollmond im Frühling.«
    »Hat Jesus als Kind auch schon Ostereier gesucht?«
    »Nein, bei ihm zu Hause hatten sie weder Aldi noch Lidl, und Osterhasen gab es in Bethlehem auch nicht. Im Heiligen Land ist der Boden so hart von der dauernden Hitze, da können sie sich keine Höhlen bauen.«
    Silvio gab es auf, die Welt verstehen zu wollen. »Mama hat schon Ostereier gekauft, wollen wir die jetzt mal zur Probe verstecken?«
    »Meinetwegen.« Das ersparte ihm, weitere Bildungslücken eingestehen zu müssen. Immerhin hatten sie noch zehn Minuten Zeit.
    Beide waren gerade fertig mit dem Verstecken und wollten sich ans Suchen machen, da kam Heike ins Wohnzimmer.
    Sie war einer Herzattacke nahe, als sie in die Küche kam und sich auf ihren Stuhl setzte, nicht ahnend, dass Silvio unter ihrem Kissen eines der ungekochten Eier versteckt hatte. Kaum hatte sie sich von diesem Schock erholt, berichtete ihr der Sohn, was er von seinem Vater gelernt hatte.
    »Du, Mama, Jesus hat noch keine Ostereier gesucht, weil sie da noch keinen Aldi und keinen Lidl hatten und Osterhasen auch nicht, weil im heimlichen Land der Boden so hart ist, dass sie sich keine Grube bauen können.«
    Heike fauchte Mannhardt an. »Was hast du denn dem Jungen da wieder für einen Unsinn erzählt? Und heimliches statt Heiliges Land! Wenn er das in der Schule wiedergibt, kriegt er doch ’ne Fünf.«
    »Aber später ist er fein raus: Unsinn wiederzugeben, ist doch die beste Garantie für eine große Karriere in der Politik.«
    »Mit dir kann man nicht diskutieren!«
    »Das ist ja das Gute an mir.« Er stand auf. »Ich muss ins Gefängnis.«
    »Pass bloß auf, dass sie dich nicht gleich dabehalten«, murmelte Heike.
    »Mein Vater kommt in den Knast!« rief Silvio. »Cool.«

     
    *
    Mannhardt stand am Eingang zum U-Bahnhof Alt-Tegel und hatte Schwierigkeiten, sich zu entscheiden. ›Schnell entschlossen zögerte er‹, spottete Heike mehrfach am Tage. Aber es war auch schwer … Bis zur JVA Tegel waren es nur zwei Stationen, und das Laufen hätte seinen Blutdruck gesenkt, aber die Berliner Straße führte durch eine langweilige Gegend, und Auspuffgase wie Feinstaub waren Gift für seine Lunge. Für die U-Bahn sprach, dass er in drei statt in dreißig Minuten sein Ziel erreichte, gegen sie die Gefahr, Zeuge eines Suizids zu werden. Sich vor die U-Bahn zu werfen, wurde bei Selbstmördern immer beliebter, denn wenn dann ein bis zwei Stunden lang kein Zug mehr fahren konnte, war es auch ein Stück Rache an der Gesellschaft, die an allem Schuld hatte.
    Ewig hier zu stehen, war aber auch keine Lösung, und so kam er nach einigem Hin und Her mit sich überein, dass ein Kompromiss das Beste war: Halb laufen, halb fahren, und so legte er das Stück bis zum Bahnhof Borsigwerke, auf dem es immerhin noch ein paar hübsche Schaufenster gab, zu Fuß zurück und stieg erst dort in die U-Bahn hinab.
    Im engen Zugang lärmte ein Trupp Jugendlicher mit und ohne Migrationshintergrund, und er hätte gern eine Dienstwaffe bei sich gehabt, denn es gehörte nicht gerade zu seinen Hobbys, sich niederschlagen zu lassen und auf dem nächstbesten Friedhof zu landen. Tapfer ging er weiter, um dann doch noch umzukehren und bis zum Bahnhof Holzhauser Straße zu laufen. ›Lieber ein lebendiger Feigling als ein toter Held‹, hatte sein Vater immer gesagt.
    Im Vorhof der Justizvollzugsanstalt stand der Trupp seiner Studierenden und fror. Alle kamen sie vom Fachbereich 3 der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege, an der sich Mannhardt noch immer als sogenannter Nebenamtler um Lehraufträge im Fach Kriminalistik bewarb. Einmal besserten die Honorare ihre Haushaltskasse auf, und zum anderen ersparte es ihm, zu Hause zu sitzen, Trübsal zu blasen und der allgemeinen Verkalkung anheimzufallen. Die jungen Menschen, allesamt Anwärter und Anwärterinnen für die Kommissarslaufbahn, hielten ihn geistig auf Trab, und manche Studentin sorgte dafür, dass er sich an unzüchtigen Gedanken erfreuen konnte. Mit anderen Worten, es war ein Job, den er gerne machte, und die ersten Semester führte er immer durch die Berliner Gefängnisse.
    ›Dies aus zweierlei Gründen. Einmal sollen Sie die Menschen kennenlernen, die meine Kollegen und ich schon zur Strecke gebracht haben, jeder Knacki ist ja ein Erfolgserlebnis für uns, zum anderen aber auch die Stätte erleben, wo der Verbrechernachwuchs ausgebildet wird, denn unsere Rückfallquoten
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