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Unterm Kirschbaum

Unterm Kirschbaum

Titel: Unterm Kirschbaum
Autoren: Horst Bosetzky
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Fischgrundbrücke, während Wiederschein sein Gartentor öffnete und sich von hinten der Küche näherte, um zu sehen, ob seine Leute auch wirklich fleißig bei der Arbeit waren. Weit kam er nicht, denn seine Nachbarin zur Linken, die pensionierte Lehrerin Carola Laubach, stand am Zaun und tat das, was ihr bei Wiederschein den Spitznamen ›Mrs. McKeif‹ eingebracht hatte.
    »Sie haben ja Ihre Birke noch immer nicht gestutzt!«, keifte sie los. »Die Zweige ragen so weit auf mein Grundstück hinüber, dass sie meinen Pflanzen alles Licht nehmen.«
    Vor drei Jahren war Carola Laubach pensioniert worden. Die Amtsärztin hatte ihr ein ausgewachsenes Burn-out-Syndrom attestiert, aber auch einen nicht ausgeheilten Bandscheibenvorfall, eine beachtliche Migräne, ein beginnendes Asthma, eine ausgeprägte Arthrose in den Kniegelenken und noch einiges andere. Was nicht in ihrem Gutachten stand, war die Tatsache, dass Carola Laubach unter einer pathologischen Verbitterungsstörung zu leiden hatte, denn nie hatte sie dem Herrn, dem Schicksal, ihrem Leben oder wem auch immer verziehen, dass sie es nur bis zur Grundschullehrerin gebracht hatte und nicht zur Professorin für Germanistik oder auch für deutsche Literatur. Schon früh hatten ihre Schülerinnen und Schüler bei privaten Dialogen von ihr nur als der ›alten Hexe‹ gesprochen, und in der Tat nahm ihr Gesicht auch mehr und mehr die Züge einer Hexe an, wie man sie in gewissen Märchenbüchern findet. Progressive Eltern verboten ihren lieben Kleinen zwar, von Frau Laubach als der ›Hexe Laulau‹ zu sprechen, doch das hatte nur eine verstärkende Wirkung. Als ihr Mann mit 49 Jahren gestorben war, hatten ihn viele posthum zu diesem Schritt beglückwünscht, denn dadurch habe er sich nur verbessern können. Vielleicht hätte sie sich selbst therapieren können, wenn sie in die Politik gegangen wäre, denn dort konnten Charaktere wie sie sogar Senatoren werden, aber die Parteien waren ihr allesamt zuwider. Sie als Nachbarin zu haben, konnte jedem den Spaß am Grundstück verleiden.
    ›Wenn ich meinen ersten Mord begehe, dann trifft es mit Sicherheit Carola Laubach‹, war eine von Wiederscheins stehenden Wendungen, doch in Wahrheit ärgerte er sich über die verbitterte Lehrerin nur wenig, denn sie war nicht langweilig, und alles durfte bei ihm ein Mensch sein, nur nicht langweilig. Die Dialoge mit ihr machten ihm Spaß, und er suchte sie so zu gestalten, dass sie eine Chance gehabt hätten, für ein gutes Drehbuch zu taugen.
    »Tut mir leid, Frau Laubach«, erwiderte er nach ein paar Sekunden des Nachdenkens. »Aber die Birke ist bei mir ein heiliger Baum, weil sie mich immer an Jane Birkin erinnert.« Und damit begann er, ›Je t’aime‹ zu summen.
    »Das ist ja krankhaft bei Ihnen!«
    »Gott, was soll ich machen, doch Sie wissen ja: Unter jedem Dach wohnt ein Ach, unter jedem Laub aber auch.«
    »Ich werde zur Polizei gehen!«, schrie sie daraufhin.
    Wiederschein grinste. »Ja, tun Sie das, Frau Laubach, Arbeit soll ja therapeutisch sehr sinnvoll sein, aber Sie haben bestimmt keine Chance, bei der Polizei genommen zu werden, und beim Ordnungsamt auch nicht. Bei Ihrem Alter und Ihren vielen Krankheiten …«
    Carola Laubach verschwand in ihrem Haus und warf die Eingangstür krachend hinter sich ins Schloss.
    Wiederschein erinnerte sich an das, was ihm verfeindete Klassenkameraden immer hinterhergerufen hatten: ›Wiederschein, Wiederschwein!‹ Wieder Schwein zu sein, machte ihm Spaß. Penetrant gute Menschen waren ihm zuwider, das Morbide und das Böse fand er wesentlich anziehender, und er war sich durchaus bewusst, dass er eines Tages auch einen Mord begehen konnte, es steckte halt so in ihm drin. Und wenn dem so war, dann gehörte es zu seiner Selbstverwirklichung. Das war ja inzwischen das höchste Ziel eines modernen westlichen Menschen, obwohl das Beispiel Adolf Hitler gezeigt hatte, was das für katastrophale Folgen haben konnte.
    Von der Straße her hörte er laute Stimmen, es wurde gelacht und gelästert. Das konnten nur die drei Tennisspieler sein, die vom Match oben am Poloplatz kamen und ein bisschen essen und trinken wollten, ehe sie in ihre Büros zurückkehrten. Und richtig, es waren Robert Orth, Inhaber einer mittelständischen Firma, die mit ihrem Autozubehör gut im Geschäft war, Arne Quaas, Professor für Steuerrecht an der FHW , und Thomas Mietzel, Rechtsanwalt mit großer Kanzlei in Tegel. Zu ihnen hatte sich noch Werner Woytasch gesellt,
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