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Das Auge des Leoparden

Das Auge des Leoparden

Titel: Das Auge des Leoparden
Autoren: Henning Mankell
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E R ERWACHT in der afrikanischen Nacht und glaubt plötzlich, sein Körper wäre zerborsten. Aufgeplatzt, die Eingeweide explodiert, und das Blut liefe ihm über Gesicht und Brustkorb.
    In panischer Angst tastet er im Dunkeln nach dem Lichtschalter, doch als er ihn dreht, geht das Licht nicht an, und er denkt, daß der Strom wieder einmal ausgefallen ist. Seine tastende Hand findet schließlich eine Taschenlampe unter dem Bett, aber die Batterien sind leer, und er liegt weiter im Dunkeln.
    Das ist kein Blut, zwingt er sich zu denken. Das ist Malaria. Ich habe Fieber, der Schweiß wird mir aus den Poren gepreßt. Ich habe Alpträume, krankhafte Alpträume. Zeit und Raum heben einander auf, und ich weiß nicht mehr, wo ich bin, weiß nicht einmal mehr, ob ich noch lebe.
    Angelockt von der Feuchtigkeit, die aus allen Poren dringt, krabbeln Insekten über sein Gesicht. Er denkt, daß er aufstehen und nach einem Handtuch suchen sollte, weiß jedoch, daß er sich kaum auf den Beinen halten könnte; er müßte kriechen und hätte vielleicht nicht mehr die Kraft, ins Bett zurückzukehren. Wenn ich sterbe, will ich wenigstens in meinem Bett liegen, denkt er und spürt, daß sich ein neuer Fieberanfall ankündigt.
    Ich will nicht auf dem Fußboden sterben, nackt, während Kakerlaken über mein Gesicht krabbeln.
    Er krallt die Finger in das schweißnasse Laken und bereitet sich auf einen Anfall vor, der schwerer sein wird als die früheren. Schwach, mit einer Stimme, die kaum trägt, ruft er in der Dunkelheit nach Luka, aber abgesehen vom Zirpen der Zikaden bleibt alles still.
    Vielleicht sitzt Luka vor der Tür, denkt er verzweifelt. Vielleicht sitzt er dort und wartet nur darauf, daß ich sterbe.
    Das Fieber rollt durch seinen Körper wie Brecher, die sich unerwartet auftürmen. Sein Kopf brennt, als bohrten sich Tausende von Insekten in Stirn und Schläfen. Langsam wird er aus dem Bewußtsein in die unterirdischen Gänge des Fieberanfalls gesogen, wo die verzerrten Gesichter der Alpträume schemenhaft in den Schatten auftauchen.
    Ich darf jetzt nicht sterben, denkt er und klammert sich an das Bettuch, um am Leben zu bleiben.
    Aber der Sog des Malariaanfalls ist stärker als sein Wille. Die Wirklichkeit wird zerstückelt und in Teile zersägt, die nicht zusammenpassen. Auf einmal ist ihm, als säße er auf dem Rücksitz eines alten Saab, der führerlos durch die endlosen nordschwedischen Wälder braust. Er kann nicht erkennen, wer vor ihm sitzt, es ist nur ein schwarzer Rücken ohne Hals, ohne Kopf.
    Das liegt am Fieber, denkt er erneut. Ich muß durchhalten und mir immerzu sagen, daß es nur das Fieber ist, sonst nichts.
    Dann bemerkt er, daß es in seinem Zimmer schneit. Weiße Flocken fallen auf sein Gesicht herab, und es wird augenblicklich kalt um ihn herum.
    Jetzt schneit es in Afrika, denkt er. Wie merkwürdig, das gibt es doch nicht. Ich muß einen Spaten auftreiben. Ich muß aufstehen und Schnee schaufeln, sonst werde ich hier begraben.
    Er ruft noch einmal nach Luka, aber niemand antwortet, niemand kommt, und er beschließt, Luka fristlos zu kündigen, falls er diese Fieberattacke überlebt.
    Banditen, denkt er verwirrt. Sie haben die Stromleitung gekappt.
    Er lauscht und glaubt, sie hinter den Hauswänden schleichen zu hören. Er greift nach dem Revolver unter dem Kopfkissen, setzt sich mühevoll auf und richtet die Waffe auf die Tür. Um den Revolver zu heben, muß er ihn mit beiden Händen packen, und er fragt sich verzweifelt, ob er zum Abdrücken genug Kraft in den Fingern hätte.
    Ich werfe Luka hinaus, denkt er wutentbrannt. Er hat die Stromleitung gekappt und die Banditen hergelockt. Ich darf nicht vergessen, ihn gleich morgen zu entlassen.
    Er versucht, mit der Revolvermündung ein paar Schneeflocken aufzufangen, doch sie schmelzen vor seinen Augen.
    Ich muß Schuhe anziehen, denkt er. Sonst erfriere ich noch.
    Er mobilisiert seine letzten Kräfte, beugt sich über die Bettkante und tastet, aber dort liegt nur die leere Taschenlampe.
    Die Banditen, denkt er benebelt. Sie haben meine Schuhe gestohlen. Sie waren hier, während ich geschlafen habe. Vielleicht sind sie noch da.
    Wahllos feuert er in das Zimmer. Der Schuß hallt durch die Dunkelheit, und der Rückstoß wirft ihn in die Kissen.
    Plötzlich ist er ganz ruhig, fast zufrieden.
    Das alles ist natürlich Lukas Schuld. Er steckt mit den Banditen unter einer Decke, er hat die Stromleitung gekappt. Doch jetzt, nachdem er entlarvt ist, hat er keine Macht
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