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DrachenHatz

DrachenHatz

Titel: DrachenHatz
Autoren: Ute Haese
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PROLOG
     
    Es durfte den Schatz nicht verlieren.
    Dies war das Liebste und Wertvollste, was es besaß, und das Einzige, was ihm in dem höllischen Inferno von zu Hause geblieben war.
    Jetzt kamen die Schritte noch ein bisschen näher, verharrten nur wenige Meter vor dem Versteck. Augenblicklich zwang sich das Kind, flach und lautlos zu atmen, und presste sich gleich einem zu Tode geängstigten Tier in den feuchten Bretterverschlag. Sein magerer Körper zitterte vor Furcht und Kälte.
    »Du brauchst keine Angst zu haben«, raunte die kehlige Stimme. »Ich tue dir nichts, Spätzchen. Das weißt du doch!«
    Nein, das wusste es nicht. Voller Verzweiflung starrte das Kind durch eine der breiteren Ritzen auf den sandigen, schnurgeraden Weg, der hinauf zur Schule führte. Hier gab es keinen Schutz, hier war kein Verstecken möglich. An diesem Ort war alles geradezu teuflisch übersichtlich und schnörkellos, das hatte man bewusst so geplant. Und an Weglaufen war natürlich überhaupt nicht zu denken. Das schaffte niemand, nicht einmal die Erwachsenen. Dafür waren die Zäune zu hoch und die Bewachung zu scharf. Nein, es gab kein Entrinnen. In seinem erstarrten Inneren löste sich ein Wimmern.
    »Nun komm schon, Spätzchen. Hab dich nicht so. Ich will es mir doch nur einmal anschauen, weil es so schön ist«, schmeichelte die Männerstimme. »Ich nehm es dir nicht weg.«
    Doch, genau das hatte er vor. Das wusste das Kind, denn seine Eltern hatten es noch am letzten Abend eindringlich davor gewarnt. Sie werden alles versuchen, um es in die Finger zu bekommen, hatte der Vater ihm mit brüchiger Stimme erklärt. »Aber ich weiß, dass du stark bist. Du wirst es nicht hergeben, hörst du, mein Liebling«, hatte er geradezu beschwörend hinzugesetzt, und es hatte die Tränen in seinen Augen sehen können.
    »Schau mal, ich habe Brot und Karamellen für dich, Spätzchen«, lockte die Stimme jetzt, und sein Magen krampfte sich bei den Worten zusammen. »Eine ganze Handvoll. Du kannst sie alle haben, wenn du es mir zeigst.«
    Stumm und trotzig schüttelte das Kind in seinem zugigen Versteck den Kopf, während es das Bild des vor ihm knienden Vaters heraufbeschwor, der wieder und wieder mahnte, ja auf den Schatz aufzupassen. Denn wenn es ihm gelänge, ihn zu beschützen, dann würden sie alle sechs ein neues Leben anfangen können, sobald der ganze Schrecken vorbei und die Familie wieder vereint war.
    Und bislang war ihm das tatsächlich gelungen. All die Wochen und Monate hatte das Kind den kostbaren Besitz gehütet wie seinen Augapfel, hatte ihn in der einzigen Tasche, die es besaß, versteckt. Und nachts schlief es sicherheitshalber auf dem Schatz.
    Der Verfolger zog den Rotz hoch und spuckte kräftig aus. »Hör zu, ich krieg dich, Balg!« Jetzt klang die Stimme unmissverständlich drohend. »Ich krieg dich sowieso. Du kannst mir hier nicht entwischen. Und das weißt du, denn dumm bist du nicht. Also, komm jetzt endlich raus, blödes Gör!«
    Die Schritte näherten sich erneut. Verharrten einen kurzen Moment. Kamen noch näher.
    Und das Kind schoss mit einem Aufschrei, in dem sich maßlose Angst und abgrundtiefe Verzweiflung mischten, aus seinem Verschlag heraus, stieß seinen Verfolger zur Seite – und rannte los.

I
     
    »Das Zeugs ist versalzen!«, nörgelte Harry und entblödete sich nicht, sein Verdikt auch noch mit einem geradezu bühnenreifen Stirnrunzeln zu unterlegen. Fatzke!
    »Das ist kein ›Zeugs‹, Harry«, kläffte ich ihn augenblicklich und vielleicht eine Spur zu laut und zu hitzig an, »sondern eine veritable, eigenhändig produzierte Honig-Senf-Soße für den Graved Lachs!«
    »Meinetwegen. Trotzdem ist da für meinen Geschmack ein Tick zu viel –«
    »Aber man kann es noch essen, Schätzelchen«, fiel Marga ihm munter ins Wort. Besten Dank, teuerste Freundin, so ein ehrlich von Herzen kommendes Lob geht einem doch runter wie Öl!
    Thomas schwieg anklagend, ich knirschte mittlerweile geräuschvoll mit den Zähnen, und nur Johannes träufelte sich in aller Seelenruhe einen weiteren Löffel des Streitobjekts auf sein mit Lachs belegtes Brötchen. Dann biss er krachend hinein.
    Mahlzeit allerseits.
    Ich, Hanna Hemlokk, Tränenfee im Brotberuf, Privatdetektivin aus Leidenschaft und durch eine Fügung der Grundgütigen, wie Johannes das höchste aller Wesen zu nennen pflegte, frisch verliebte Fast-Vierzigerin, hatte zum Osterbrunch geladen – und alle, alle meine Lieben waren dem Ruf gefolgt: nämlich
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