Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der silberne Traum - Die Chroniken der Nebelkriege ; 4

Der silberne Traum - Die Chroniken der Nebelkriege ; 4

Titel: Der silberne Traum - Die Chroniken der Nebelkriege ; 4
Autoren: Ravensburger
Vom Netzwerk:
Sirenengesang
    F i erwachte mit dem Gefühl eines entsetzlichen Verlustes. Ihr Kopf fühlte sich taub an, sie fror und das Herz in ihrer Brust pochte wie nach dem ungestümen Ritt auf einem Einhorn. Einhorn? Beim Gedanken an die wundersamen Rösser ihrer Heimat Lunamon riss Fi die Augen auf. Doch statt lichter Auen und grüner Bäume umfing sie eine bedrückende Düsternis. Die Luft roch brackig und sie schmeckte das Salz des Nordmeers. Die Bilder von stolzen Zauberpferden, lachenden Elfen und dem großen, vom Mond beschienen Waldsee, an dessen Rand sich die Elfen Albions einst angesiedelt hatten, schwanden wie Tau in der Sonne, verblassten, bis nichts übrig blieb als … Verzweiflung.
    Fi stöhnte und griff sich unwillkürlich in den Nacken. Doch alles, was sie zu fassen bekam, war der Stoff eines Kopftuchs, unter dem sie ihr helles Haar zusammengebunden hatte. Irgendetwas daran war nicht richtig. Abermals überkam sie das unangenehme Gefühl, als hätte sie etwas verloren. Doch sosehr sie auch in sich ging, sie kam nicht dahinter, wer oder was ihr diesen Kummer bereitete. Sie empfand nur eine bleierne Leere, die es ihr fast unmöglich machte, irgendeinen klaren Gedanken zu fassen. Wo war sie überhaupt?
    Im fahlen Mondlicht, das durch eine quadratische Öffnung in der Decke sickerte, zeichneten sich die Umrisse von Fässern, Taurollen und aufeinandergestapelten Kisten ab. In ihrem Rücken befand sich eine Wand aus Planken, hinter der beständig das Plätschern von Wasser zu hören war. Sie saß im Stauraum eines Schiffes. Beim Traumlicht, wie kam sie auf ein Schiff?
    »Bist du endlich wach, Elfenjunge!«, krächzte eine Stimme. Fi wirbelte herum und entdeckte schräg über sich auf einer Hängematte, die zwischen zwei Stützpfeilern baumelte, eine Silbermöwe. Der stattliche Vogel ließ soeben mit schräg gelegtem Kopf eine Muschel aus dem Schnabel fallen. Erst jetzt bemerkte Fi, dass zahlreiche Muscheln auf dem Boden verstreut lagen, als hätte die Möwe sie damit beworfen. Das weiß-graue Gefieder des Vogels wirkte überaus gepflegt und die Schirmfedern formten auf dem Rücken einen kleinen Buckel. Am sonderbarsten kam Fi jedoch der intelligent wirkende Ausdruck in den Augen des Vogels vor.
    »Ich weiß zwar nicht, wie du es geschafft hast, diesem Miststück zu entgehen«, krächzte die Möwe weiter, »aber wenn du nicht gefressen werden willst, solltest du rasch auf die Beine kommen.«
    Fi blinzelte verwirrt. »Du kannst … sprechen?«
    »Natürlich kann ich sprechen«, antwortete die Möwe ungehalten. »Hörst du doch.«
    Fi starrte den Vogel an. »Dann musst du eine Tierkönigin sein. Die erste deiner Art, die einst aus dem Unendlichen Licht getreten ist.«
    »Königin? Dass ich nicht lache. Nur Zweibeiner bedienen sich solcher Titel. Aber dafür haben wir jetzt keine Zeit.« Die Möwe spreizte die Flügel und landete auf einer Taurolle neben Fi. »Wenn wir uns nicht beeilen, enden Koggs und seine Mannschaft als Abendmahl. Und du ebenfalls!«
    »Koggs?«
    »Sag mal, Bürschchen, bist du irgendwo mit dem Kopf aufgeschlagen?« Die Möwe warf Fi einen entrüsteten Blick zu. »Ich spreche von Koggs Windjammer! Klabauterkapitän und größter Schmuggler des Nordmeers. Du willst mir doch nicht weismachen, dass du dich nicht an ihn erinnerst?«
    »Es tut mir leid.« Fi rieb sich verzweifelt die Schläfen und sah sich ein weiteres Mal im Schiffsbauch um. Noch immer hatte sie nicht den blassesten Schimmer, wie sie an diesen Ort gelangt war oder weshalb die Möwe sie für einen Elfenjungen hielt. »Ich weiß weder, wie ich auf das Schiff gekommen bin, noch wer dieser Koggs ist. Ich erinnere mich nicht einmal richtig daran … wer ich bin.« Die letzten Worte brachte Fi nur noch flüsternd hervor. Die bittere Erkenntnis entsetzte sie so sehr, dass ihr für einen Augenblick die Stimme versagte.
    Die Möwe neigte den Kopf und sah sie nachdenklich an. »Gut möglich, dass sich der Gesang der Sirenen bei euch Elfen anders auswirkt als bei Klabautern oder Menschen.«
    »Sirenen?«
    »Sie sind der Fluch der Meere«, krächzte die Möwe. »Aus der Ferne wirken diese Ungeheuer so verführerisch wie Meernymphen, doch in Wahrheit sind sie, sagen wir mal, etwas größer. Sie sind bekannt für ihren unstillbaren Hunger auf Fleisch – und damit meine ich jede Art von Fleisch. Mit ihrem Gesang bringen sie alle männlichen Wesen um den Verstand. Moment mal …« Die Möwe watschelte bis an den Rand der Taurolle und betrachtete
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher