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Unter Menschen

Unter Menschen

Titel: Unter Menschen
Autoren: Isabell Schmitt-Egner
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    G eorge las den nächsten Satz vor, und Sam schrieb konzentriert mit. Er hatte die Stirn in Falten gelegt.
    George zeigte mit dem Finger auf ein Wort, das Sam geschrieben hatte.
    „Da fehlt ein ‚e’“, sagte er.
    Sam starrte auf das Wort. Er sah nicht auf und George bemerkte, wie Sams Hand leicht zitterte, als er es ausbesserte.
    „Sam“, sagte George freundlich. „Wie lautet die Regel?“
    „Ich darf Fehler machen, weil ich noch lerne“, sagte Sam und schluckte trotzdem an einer Träne.
    „Und die zweite Regel?“, fragte George.
    „Du hast mich gern, auch wenn ich Fehler mache“, sagte Sam.
    „So ist es. Sollen wir aufhören für heute?“
    „Nein!“, rief Sam fast erschrocken. Die Zeit mit George war heilig für ihn. Sam hätte niemals freiwillig auf eine Sekunde davon verzichtet.
    George legte ihm die Hand auf die Schulter.
    „Ich schicke dich doch nicht weg. Aber wir könnten mit dem Lernen aufhören und ich zeige dir eine Überraschung, die ich dir gekauft habe.“
    Sam wurde rot vor Aufregung. Er konnte nichts sagen und nickte nur.
    George machte sich manchmal Sorgen, weil Sam dermaßen an ihm hing. Er hatte alles versucht, um ihn ein bisschen entspannter werden zu lassen. Aber Sam blieb ihm gegenüber anhänglich, ehrfürchtig und dankbar für jedes Wort, das er an ihn richtete.
    Er war sich fast sicher, dass Sam sich für ihn umbringen würde, wenn es darauf ankam. Normalerweise hatte George in seinem Job mit schwierigen, bockigen, alles verweigernden Teenagern zu kämpfen. Da war Sam eine völlig andere Herausforderung. Er folgte wie ein Leibeigener jeder von Georges Anweisungen. Wenn er etwas tat, von dem er glaubte, es könnte George enttäuschen, kam das jedes Mal einem mittleren Weltuntergang gleich.
    George versuchte mit viel Geduld, Sam das abzugewöhnen. Er glaubte, dass Sam sich normaler verhalten konnte, wenn er sich mit der Zeit ganz sicher war, dass er geliebt wurde, egal, was er tat.
    Liz war dabei eine große Hilfe. Sie hatte eine unkomplizierte Art und eine Engelsgeduld.
    Manchmal lernte sie mit Sam zusammen schreiben, was einfacher war, denn Sam konnte seine Fehler in ihrer Gegenwart besser ertragen. Sie wusste, dass Sam jünger war, als sie alle zunächst angenommen hatten und behandelte ihn wie einen Pflegebruder. Sie bedrängte ihn nicht und überforderte ihn nicht. Sie war einfach da und das tat Sam gut. George war sehr froh darüber.
    Wenn George Sam mit dem Wagen abholte, saß er meistens schon komplett verwandelt und umgezogen auf einem Stein am Ufer, damit George nicht auf ihn warten musste. Jedes Mal hatte er opulente Geschenke dabei, die er im Meer gesucht hatte. Da Sam inzwischen wusste, was wertvoll war und was nicht, hatten die Cunnings Fundstücke im Wert von mehreren tausend Dollar im Keller liegen. George erklärte Sam jedes Mal, dass er nicht immer mit Geschenken aufwarten musste, aber ihm war auch klar, dass Sam sich sicherer fühlte, wenn er Menschen beschenken konnte.
    Sam war süchtig nach menschlicher Gesellschaft, ohne dass er dabei lästig wurde. Er war zurückhaltend und höflich, bemühte sich stets, perfekt zu sein. Auf den ersten Blick war George das einfacher vorgekommen, als seine anderen „Fälle“. Aber das war es nicht.
    Jetzt nahm er Sam mit in die Wäschekammer, um ihm die Überraschung zu zeigen.
    George hatte ein aufstellbares Schwimmbecken gekauft, das groß genug war, dass Sam darin liegen konnte. Sams Augen wurden rund, als er das Becken sah.
    „Wenn du willst, kannst du ab jetzt hier regelmäßig übernachten“, sagte George.
    „Ich … das …“, stammelte Sam und George nahm ihn in den Arm, bis er sich beruhigt hatte.
    „Ist schon gut, Sam. Wir mögen dich und haben dich gern bei uns. Du musst lernen, darauf zu vertrauen. Ganz egal, was passiert. Wir halten zu dir.“
    „Und wenn ich etwas Schlimmes tue?“, fragte Sam.
    „Das tust du nicht. Und wenn ... du weißt ja, man darf Fehler machen. Jeder macht welche.“
    „Du auch?“, fragte Sam.
    „Ja, ich auch.“
    „Welchen Fehler hast du denn gemacht zum Beispiel?“
    „Jede Menge. Ich habe Laine eine Geige gekauft – schwerer Fehler. Das mussten wir alle ausbaden. Ich habe unseren Rasenmäher geschrottet und ich habe Mrs. Mason zu meinem Geburtstag eingeladen. Das war eins der schlimmsten Dinge, die ich je getan habe.“
    Sam begriff und lachte. Er verstand inzwischen viele Zwischenmenschlichkeiten. George lachte auch.
    „Das war
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