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Katrin mit der großen Klappe

Katrin mit der großen Klappe

Titel: Katrin mit der großen Klappe
Autoren: Marie Louise Fischer
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Die Mädchen aus der sechsten Klasse
     
    Goldener Herbstsonnenschein
fiel durch die großen Fenster der hellen modernen Parkschule und malte gelbe
Kringel auf die Wände und die Tische der Klasse 6a.
    Ein vorwitziger Strahl schien
es ganz besonders auf Olga Helwig abgesehen zu haben. Er spielte in ihren roten
Locken, ließ sie aufleuchten, kitzelte ihr die Nase, so daß sie lächeln mußte.
    Olga schloß die Augen. Ohne daß
sie es merkte, glitten ihre Gedanken aus der Schulstunde fort und zurück in die
herrliche Zeit der großen Ferien.
    Frau Dr. Mohrmann ließ, während
sie sprach, den Blick über die Klasse gleiten, begegnete neunundzwanzig
interessierten, gelangweilten oder immerhin gefaßten Augenpaaren. Nur Olga
Helwigs dunkelblaue Augen waren nicht zu sehen, sie hatten sich hinter den
Lidern mit den dichten hellen Wimpern völlig verschanzt.
    Aber das brachte die
Klassenlehrerin nicht aus dem Konzept. „...und deshalb“, schloß sie ihren
Vortrag, „leben wir hier und heute in einer Industriegesellschaft!“ Mit zwei,
drei leisen Schritten stand sie vor dem Platz der Träumerin, peng, schlug sie
mit dem Lineal auf den Schultisch. „Olga, bitte!“
    Olga riß erschrocken die Augen
auf. Sie war weit, weit fort gewesen, hatte sich in Gedanken am Strand der
Nordsee geaalt. Sie war ganz überrascht, plötzlich Frau Dr. Mohrmann vor sich
zu sehen. „Was?“ stammelte sie. „Wie bitte!“
    „Wiederhole, was ich eben
gesagt habe!“
    Olga erhob sich, sehr langsam,
um Zeit zu gewinnen, und dachte krampfhaft nach. Sie konnte nicht hoffen, daß
Silvy Heinze ihr von hinten vorsagte oder Ruth Kleiber, ihre Tischnachbarin,
ihr einen Zettel zuschob. Dafür stand Frau Dr. Mohrmann zu nahe. Sie mußte
zugeben, daß sie geträumt hatte — und das würde zumindest eine saftige
Strafarbeit bedeuten — , oder sich eine Antwort einfallen lassen. Tatsächlich
hatte sie Frau Dr. Mohrmanns Worte gehört, aber sie nicht wirklich aufgenommen.
    „Na, wird’s bald!“ drängte die
Lehrerin.
    „Sie haben gesagt, „daß wir...
wir auf einer Geburtstagsgesellschaft leben!“ brachte Olga mit dem Mut der
Verzweiflung heraus.
    Die ganze 6a brach in ein
brüllendes Gelächter aus. Auch Olgas Freundinnen Silvy und Ruth konnten nicht
anders, sie mußten mitlachen, und Katrin Bärs tiefe Stimme übertönte alle
anderen. Olga wurde glutrot, Tränen stiegen ihr in die Augen.
    Frau Dr. Mohrmann hatte sich
umgedreht und war zum Lehrtisch zurückgegangen. Ihre Schultern unter dem
schicken hellen Twinset zuckten wie von unterdrücktem Lachen, aber als sie sich
jetzt der Klasse zuwandte, war sie schon wieder ganz ernst. „Ruhe!“ donnerte
sie. „Was soll denn das!? Ihr habt es gerade nötig, eine Kameradin auszulachen.
Als wenn nicht jede von euch schon einmal eine selten dumme Antwort gegeben
hätte!“
    Den meisten der Schülerinnen
erstarb das Lachen im Halse. Frau Dr. Mohrmann war jung und hübsch, aber sehr
energisch, und es war nicht ratsam, sich mit ihr anzulegen.
    Nur Katrin Bär lachte weiter,
und da die anderen verstummten, schien ihr tiefes Gelächter auf einmal doppelte
Lautstärke zu gewinnen. Sie hatte den Kopf in den Nacken gelegt, den großen
Mund mit den weißen ebenmäßigen Zähnen so weit aufgerissen, daß man ihr bis in
den Hals hinabsehen konnte, ihre schwarzen Augen hatten sich zu schmalen
Schlitzen verengt.
    „Katrin“, sagte Frau Dr.
Mohrmann, „da du gerade so guter Laune bist, wird es dir sicher besondere
Freude machen, uns den Begriff Industriegesellschaft noch einmal zu erklären.“
    Katrin klappte ihren Mund zu.
„Na klar“, sagte sie dann, „warum denn nicht? Die Gesellschaft ist die
menschliche Gemeinschaft, in der wir leben, und Industrie...“ Sie machte eine
kleine Pause.
    Sofort rief Silvy Heinze, die
die ganze Zeit mit ihrem rechten Arm geschlenkert und mit Daumen und
Mittelfinger geschnalzt hatte, dazwischen: „Industrie ist, wenn die
Lebensmittel in der Fabrik hergestellt werden!“
    Wieder lachte die ganze Klasse,
nur Olga Helwig saß mit zusammengepreßten Lippen und verdunkelten Augen da. Sie
verzog keine Miene, sondern starrte blicklos und schweigend geradeaus.
    Ruth Kleiber, ihre
Tischnachbarin, stieß sie an. „Menschenskind, Olga, warum lachst du denn nicht
mit? Diesmal ist doch jemand anders der Dumme.“
    Aber Olga ging gar nicht darauf
ein, sie schob nur das Kinn noch ein bißchen höher.
    „Wenn ich Lebensmittel sage“,
schrie Silvy in das Gelächter hinein, „so meine ich
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