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Unter Menschen

Unter Menschen

Titel: Unter Menschen
Autoren: Isabell Schmitt-Egner
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ordentlich auf dem Teller abgelegt hatte.
    „Ich weiß, was er hat“, sagte sie. „Ich hab ihm versprochen, dass er nach dem Essen den Staubsauger bekommt. Sam, du kannst doch vorher noch in Ruhe zu Ende essen.“
    „Ich möchte im Moment nicht mehr essen. Saugen wir das Wohnzimmer zuerst?“, fragte Sam.
    „Ich verstehe nicht, was man daran so toll finden kann“, warf Laine ein.
    „Jap. Das sieht man an deinem Zimmer“, sagte George. „Da sieht’s aus ...“
    „Mensch, Dad, ich bin doch kein kleines Kind mehr“, maulte Laine.
    „Ein Grund mehr, das Zimmer in begehbarem Zustand zu halten“, sagte George.
    Sam legte die Stirn in Falten, weil er den Satz nicht verstand. Vivian nickte Richtung Tür.
    „Nimm wenigstens deine Wäsche mit hoch, Schätzchen.“
     
     
    Sam schob den Stecker des Staubsaugers in die Steckdose. Dann drückte er den Knopf mit dem Zeichen, das „Einschalten“ bedeutete. Auf vielen Geräten war dieses Zeichen angebracht, falls man nicht wusste, wo man drücken sollte.
    Der Staubsauger sprang an, und Sam schob die Düse über den Boden. Man konnte sehen, dass kleine Körner, Staubflocken und Krümel verschwanden, wenn man über sie hinwegsaugte.
    Der Staubsauger war noch aufregender als die Waschmaschine, die alleine weiterarbeitete, wenn sie einmal eingeschaltet war. Ohne einen Bediener konnte der Staubsauger nicht arbeiten. Das war etwas ganz anderes. Der Sauger brauchte Sam, um richtig zu arbeiten. Er war hilflos ohne ihn. Sam saugte sich durch das Wohnzimmer. Dann saugte er den Flur und die Treppen. Als er fertig war, sah er sich um. Es gab nichts mehr zu saugen. George und Vivian saßen im Garten und lasen. Dort konnte er jetzt nicht hingehen. Er war nicht sicher, ob er sie stören durfte.
    Sam sah zu den geschlossenen weißen Türen, die ihn im ersten Stockwerk umgaben. Er ging zu einer Tür und öffnete sie. Laines Badezimmer verbarg sich dahinter. Es gab keine Teppiche, die man saugen konnte. Vielleicht würde er später Schaum herstellen und das Bad reinigen.
    Aber nicht jetzt, wo der Staubsauger noch in seinem Zuständigkeitsbereich lag.
    Sam öffnete die nächste Tür. Es war Laines Zimmer. Er kannte dieses Zimmer schon ganz gut. Laine war zu Bill gegangen, also war niemand darin. Sam war sich unsicher, ob er ohne ihre Erlaubnis hineingehen durfte. Andererseits hatte Laine keine Lust zu saugen, aber George wollte, dass das Zimmer gesaugt wurde. Sam wog die Risiken gegeneinander ab und fällte eine Entscheidung.
    „Wo ist denn Sam?“, fragte Vivian. „Ich höre den Staubsauger gar nicht mehr.“
    „Lass ihn“, sagte George. „Ich denke, er wird fertig sein mit Saugen, aber er will das Gerät noch nicht abgeben.“
    Vivian kicherte. „Das ist wirklich goldig. Sollen wir ihn dann loben? Was meinst du?“
    „Ja, aber das sollten wir sparsam dosieren. Sonst saugt er das ganze Grundstück.“
    Sam betrat Laines Zimmer und zog den Staubsauger hinter sich her. Auch das gefiel ihm, dass der Staubsauger ihm folgte. Wie ein Putzerfisch, der auf Kommando säuberte. Sam dachte an Georges Worte, dass das Zimmer in begehbarem Zustand gehalten werden musste. Gehen konnte er in dem Zimmer, aber es war schwieriger als im Wohnzimmer, weil so viele Dinge auf dem Boden lagen. So konnte man nicht saugen. Sam sah sich um. Auf dem Bett war noch Platz. Er würde vor dem Saugen alles ordentlich auf Laines Bett legen, was der Staubsauger nicht wegsaugen sollte. Sam ging zu dem Bett und befühlte die Matratze. Sie gab nach und war weich. Es gab Kissen und zwei Decken, denn Bill schlief manchmal auch in diesem Bett. Sam hatte noch nie in einem Bett gelegen. Menschen schliefen die ganze Nacht auf so einer weichen Matratze unter trockenen Decken. Und manchmal schliefen sie dort zu zweit. Sam stellte sich vor, wie Laine und Bill in diesem Bett lagen. Wenn einer von beiden nachts erwachte, war der andere da. Vielleicht hatten sie sich auch im Arm, wenn sie schliefen.
    Sam schlief immer alleine und für ein paar Sekunden war er etwas traurig deswegen. Er hätte auch gerne jemanden gehabt, in dessen Armen er schlafen durfte. Dann fiel ihm ein, dass er ja auch eine Menschenfreundin hatte. Liz war jetzt seine Freundin und er teilte sie bisher mit niemandem. Auch nicht mit Bill. Es gefiel ihm, dass Bill Liz nicht anrühren durfte. Das war eine Menschenregel. Leider besagte sie auch, dass Sam Laine keinen Meeres-freunde-Kuss geben durfte, wie er es früher getan hatte, bevor Bill ihr Freund wurde.
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