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Unsichtbare Blicke

Unsichtbare Blicke

Titel: Unsichtbare Blicke
Autoren: Frank Maria Reifenberg
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entkommen war.
    Lena setzte sich auf das Bett. Sie wirkte nicht mehr so erschöpft. Mit einer Hand klopfte sie auf die Matratze. «Setz dich», sagte sie.
    Ich setzte mich und spürte, wie mir ein Kribbeln über den Rücken fuhr. Zuerst ignorierte ich es, als es sich zu einem unangenehmen Stechen entwickelte, saugte ich noch einmal Luft durch die Nase.
    «Benzin», sagte Lena. Sie rieb mit beiden Händen über die Beine und verzog das Gesicht. «Fühlt sich nicht gut an.»
    Erst jetzt nahm ich den Geruch wirklich wahr. Das Stechen war nur eine Vorwarnung gewesen. Fühlt sich nicht gut an, hatte sie gesagt. Ich starrte sie an. «
Fühlt
sich nicht gut an?»
    «Ja, ja …», antwortete sie. «Fühlt sich nicht gut an und ist sicher kein gutes Zeichen.»
    «Es sticht», sagte ich.
    «Nein», antwortete sie spontan, «es ist mehr ein …» Sie sprach nicht weiter.
    Wir saßen nebeneinander und schauten uns an und verstanden.
    «Synästhesie ist erblich», durchbrach ich das Schweigen.
    Für eine Antwort blieb keine Zeit. Die Tür öffnete sich. Der Geruch schwappte über uns hinweg.
    «Wir gehen», sagte er.
    Auf dem Weg hinaus sah ich, dass er alle Türen geöffnet hatte. Überall glänzte es feucht. Das Benzin schillerte in kleinen Pfützen im Flur, die Monitore, das Sofa – alles war feucht. Lena hustete. Die Dämpfe stiegen mir sofort in den Kopf.
    «Beeilt euch», sagte er. Er klang, als wolle er die nächste Straßenbahn noch erwischen. «Da links und dann hoch.»
    Mir wurde klar, dass wir irgendwo unter der Erde sein mussten. Rohe Backsteinwände, verrostete Eisentreppen, nur ein paar Notlampen. Der Gestank des Benzins ließ schnell nach, obwohl er weiter eine flüssige Spur hinter uns legte. Der Kanister reichte bis zu einer kleinen Halle mit einer hohen, kuppelförmigen Decke. An der gegenüberliegenden Seite führte eine Wendeltreppe nach oben.
    Ich musste Lena stützen. Sie keuchte und bekam kaum noch Luft. Auf halber Strecke sackte sie in die Knie. Einen Moment befürchtete ich, wir stürzten rückwärts die metallenen Stufen hinab. Ich drückte mich von hinten gegen ihren mageren Körper, vorne umklammerte ich das gewundene Geländer mit beiden Händen.
    Dreh dich um und stoße ihn hinunter. Die Enge ist deine Chance. Meine. Aber nicht Lenas. Ich schob sie vorsichtig nach oben in einen wenige Meter langen Gang, an dessen Ende Lichtstrahlen auf den fleckigen Boden fielen.
    Licht. Sonnenlicht. Ein paar Blätter auf dem Boden, Luft, die nach Wald schmeckte, wehte uns entgegen und drängte den ätzenden Gestank zurück, der uns folgte.
    «Wartet», sagte er.
    Das Gewehr hatte er bisher immer auf uns gerichtet. Es lag locker in seinem Arm, über den anderen hatte er meine Tasche gehängt, als ich Lena auf der Wendeltreppe helfen musste. Er stellte die Tasche ab und lud die Waffe durch.

65
    Stella hörte das dröhnende Geräusch. Es wehte aus einiger Entfernung herüber. Sie schaute Miki Saito an. Er hatte mit ihr das vordere Grundstück und die Villa durchsucht, Kronen und Muthaus waren zu den Baracken im hinteren Bereich des Grundstücks gelaufen. Einen kurzen Augenblick erkundeten ihrer beider Blicke, ob sie dasselbe gehört hatten. Miki zückte sein Handy und drückte eine Kurzwahltaste.
    «Habt ihr das –» Am anderen Ende schnitt ihm jemand das Wort ab. «Okay, wir kommen», sagte Miki.
    Bevor er die Verbindung unterbrechen konnte, nahm Stella das Smartphone. «Rührt euch nicht vom Fleck», befahl sie. «Wartet auf uns.» Sie drückte die rote Taste und gab Miki das Telefon zurück. «Wann ist die Verstärkung da?»
    Sie hatten das SEK angefordert, als sich Stellas Vermutung bestätigt und ein alter Opel Vectra hinter dem Hauptgebäude des ehemaligen Jugendwerkhofs gestanden hatte. Er war auf Bernhard Tschelcher zugelassen, nur konnte der sein Auto nicht hierhergefahren haben. Bei Mikis Anruf hatte David Westers Schützenbruder noch im Bett gelegen.
    «Wenn sie sich nicht genauso verfahren wie wir …», Saito schaute auf die Uhr, «… zwanzig Minuten, plusminus.»
    Die beiden anderen Kommissare hatten sich an Stellas Anweisung gehalten. Mit gezückten Dienstwaffen warteten sie im Schutz des Eingangs der ersten Baracke. «Von da hinten», sagte Lorenz Muthaus.
    «In einer der Baracken?», fragte Stella.
    Muthaus schüttelte den Kopf.
    «Wir waren in allen drei, die Schlafsäle sind übrigens nummeriert: von 011 , 013 und dann weiter bis 019 . Stehen alle leer, und nach dem Muff zu urteilen, war da
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