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Unser Doktor

Unser Doktor

Titel: Unser Doktor
Autoren: Herbert Reinecker
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ohnegleichen durch die wäßrigen Felder, und auch was mir einfiel, war nicht bedeutend. Ich hatte nur den Wunsch, wieder müde zu werden, und fand es langwierig und langweilig, bis es soweit war.
    Kennen Sie das, wenn einem nach Heulen zumute ist, aber man tut es nicht, man tut es ums Verrecken nicht? Man ist in einer Verzweiflung, die man mit der Hand auf Abstand halten
    kann, so wird sie handlich. Und bösartig. Ich spürte es, als ein Hund auf mich zuschoß. Ich mochte Hunde nie, aber diesen hätte ich erwürgen können. Er hat es gespürt, zog den Schwanz ein und trollte sich. Ich kam auf eine Landstraße letzter Ordnung und sah einen Wagen neben mir bremsen, einen drecküberspritzten Volkswagen. Doktor Färber kurbelte das Fenster herunter.
    »Machen Sie einen Langlauf?« fragte er, »Sie sind sieben Kilometer gegangen.«
    »Ich versuche zu gehen, ohne mich durch die Landschaft stören zu lassen.«
    »Gelingt es Ihnen?« fragte er, und ich bemerkte wieder sein Lächeln, nur im Glanz seiner braunen Augen.
    Ganz plötzlich kam mir der Verdacht, daß er mehr über mich wissen könnte, als ich annahm. Ich sah ihn mißtrauisch an, aber er lächelte nur.
    »Kommen Sie«, sagte er, »ich nehme Sie ein Stück mit.«
    Mir fiel einfach kein Grund ein, es abzulehnen, ich stieg in seinen Wagen, und er fuhr sogleich los.
    Die Landschaft wurde dadurch nicht besser. Der Himmel lag mit dem Bauch auf der Erde. Die kahlen Baumpinsel hatten sich mit schwarzer Nässe überzogen.
    Ich fragte: »Sind Sie darauf aus, Ratschläge zu geben?«
    Das schien ihn zu belustigen. »Haben Sie mal«, fragte er zurück, »von Ratschlägen gehört, die erstens richtig waren und zweitens befolgt wurden?«
    »Nein«, sagte ich. Unangenehm fiel mir auf, daß er mich sofort verstanden hatte. Die Tatsache, daß ich ein Fall war.
    »Viel zu tun, Doktor?« fragte ich.
    »Ich weiß nicht, was wenig ist«, meinte er, »ich habe da keine Vergleiche.«
    Ich fragte, ob auf dem Lande denn viele Leute krank seien.
    Er sah mich fast spöttisch an. »Sie haben wohl auch mal gelesen, daß Landluft gesund ist.«
    Er hatte genau die richtige Art, mich zu behandeln, stellte ich widerwillig fest. Ich war darauf aus, ihn bei Begeisterung zu ertappen, bei Lobliedern, die ihn selbst diskret in den Mittelpunkt stellten, was die meisten Menschen zu mehr oder weniger großer Vollkommenheit gebracht haben.
    Aber nichts dergleichen. Er gewann jeder Antwort noch eine kleine ironische Note ab, ohne daß ich das Gefühl hatte, neben einem Zyniker zu sitzen.
    Wieder kam mir das Gefühl: Er behandelt dich schon.
    Er legte sich einfach nicht fest. Er schien auf meinen Zustand Rücksicht zu nehmen, den er genau zu kennen schien.
    »Was soll ich tun, um wieder gut zu schlafen?« fragte ich.
    »Trinken Sie weiter«, sagte er gleichmütig.
    Wir fuhren in einen großen Bauernhof ein.
    »Es dauert nicht lange«, sagte er, nahm seine Tasche und verschwand.
    Wer hat wohl die Vorstellung erfunden, daß ein Bauernhof etwas Schönes ist? Auf nasser Erde standen willkürlich einige Gebäude herum. Niemand hatte bei ihrer Errichtung auch nur das geringste Formgefühl bewiesen. Das feuchte Holz dampfte, der Putz des Wohngebäudes erlag eben der Verwitterung, ohne Widerstand zu zeigen. Ein Misthaufen wuchs aus trüber Brühe, deren Gestank ich durch die geschlossenen Wagenfenster wahrnahm.
    Es dauerte wirklich kaum drei Minuten, als der Doktor wieder erschien. Wie eine Bachstelze hüpfte er um die trüben Lachen herum, mit seinen lächerlichen Wickelgamaschen.
    Er setzte die Kunstledertasche nach hinten, drehte den Wagen und fuhr los.
    »Haben Sie irgend jemandem eine kleine Spritze verpaßt?« fragte ich.
    »Das kann man sagen«, lachte er, »ich habe die größte Spritze genommen, die ich habe, mein Mundwerk.«
    »Damit sind Sie ziemlich unabhängig von der Apotheke.«
    »Manchmal«, sagte er gleichmütig.
    »Halten Sie viel von Behandlung mit Worten?« wollte ich wissen.
    Er sah mich von der Seite an. »Sie können sich nicht vorstellen«, sagte er, »daß man mit Worten irgend etwas erreichen kann?«
    »Nein«, antwortete ich, »das kann ich mir nicht vorstellen.“
    »Wissen Sie«, setzte er ohne große Betonung fort, »es kommt immer auf den Fall an. Ich habe hier keine Worte in Ihrem Sinne gebraucht. Ich habe geflucht, als sei der Teufel selber durchs Backrohr gekommen.«
    »Um was ging es?«
    »Um ein Kind, das geboren werden soll. In ein paar Tagen ist es soweit.«
    Er schien plötzlich
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